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Über hohe Pässe nach Ladakh und Kaschmir (November 2006)

Als wir das ehemalige Königreich Spiti verlassen, liegen bis nach Kaschmir noch nahezu 1000 km Bergstraße und insgesamt 8 Pässe zwischen 3530 und 5602 Meter Höhe vor uns. Auf der Karte sieht das alles ja immer gar nicht so schlimm aus, doch die Wege gleichen eher einem Offroad–Trainingsgelände. Einige Brücken sind im Zuge der Wintervorbereitungen auch schon demontiert worden, so dass wir durch die Flüsse fahren müssen. Und auf den Bergpässen sind die LKWs der Armee zu Hunderten mit Schneeketten unterwegs, um die letzten Herbsttage für den Nachschub zu nutzen. Uns ist bewusst, dass wir für Ladakh extrem spät dran sind, denn der Winter steht vor der Tür und am 31.10.2006 werden die Pässe offiziell geschlossen.

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Bild: Pässe schließen Bild: Winteranfang

Die indischen Himalajaregionen Jammu/Kaschmir und Himmal Pradesh waren schon vor Jahrhunderten ein schwierig zu überquerendes Gebiet. Händler, Karawanen, Heilige, Missionare und Armeen nutzten hier die uralten Handelswege um Westtibet, Indien und über die nördliche Karakorumroute Zentralasien zu erreichen. Dabei sorgten sie für eine einzigartige kulturelle, ethnische, religiöse und sprachliche Vermischung: In einem Tal leben Menschen mongolischer und im nächsten Tal Volksstämme persischer Abstammung. Sind die Frauen in einem Tal entsprechend ihrer Religion verschleiert, so nehmen sich die Frauen einige Kilometer weiter mehrere Ehemänner. Hört man in einigen Dörfern die persische Sprache, so sprechen die Menschen einige Täler weiter tibetisch.
Kreuzungspunkt dieser Handelrouten war die Stadt Leh in Ladakh, die auf 3500 Meter im grünen Industal liegt. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts wurde hier noch reger Handel mit Teppichen, Filzstoffen, Rohseide, Salz aus Tibet, Getreide, Trockenobst und Kaschmirwolle getrieben. Durch die heute unüberwindbare Grenze zwischen Indien, Pakistan und China hat Leh seine Bedeutung als „internationales“ Handelszentrum verloren. Baktrische Kamele, die einst in endlosen Karawanen unterwegs waren, sind heute arbeitslos oder werden allenfalls als Touristenattraktion eingesetzt. In den Sommermonaten, wenn Tausende Touristen in Leh sind, platzt die Stadt fast aus den Nähten und wir sind sehr froh, die ruhigere Nachsaison genießen zu können, wenngleich auch schon viele Hotels, Restaurants und Geschäfte geschlossen haben.

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Bild: Historisches Leh Bild: Arbeitslose Kamele

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Als wir nach zwei harten Tagesetappen die Gebirgsketten des indischen Himalaja und Zanskar endlich überwunden haben, erreichen wir Ladakh, eine karge Hochwüste auf durchschnittlichen 4000 Höhenmetern, die in scharfem Kontrast zu den anderen Regionen im indischen Himalaja steht. Ladakh gilt als die Wiege des Buddhismus und wie schon im Königreich Spiti finden wir sehr schöne Klöster, die meist auf einem Hügel schon von Weitem zu erkennen sind. Mönche in dunkelroten Gewändern prägen das Straßenbild, und unzählige Stupas säumen den Rand unserer Piste.

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Bild: Kloster Lamayaru Bild: Klosterbesuch

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Bild: Buddhistischer Fanclub Bild: Zanskar

Auch wenn Ladakh seit 1974 für den Tourismus freigegeben wurde, gibt es immer noch Regionen, für deren Besuch man eine Sondergenehmigung benötigt. Diese Regionen liegen im Grenzgebiet zu China (Tibet) beziehungsweise Pakistan und außer den Einwohnern und der Armee hat die indische Regierung dort lange niemanden hineingelassen. Nach einem viertägigen Hin und Her bei den örtlichen Behörden in Leh erhalten wir die begehrte Sondergenehmigung. Weil diese Genehmigung nur für Gruppen ab mindestens vier Personen ausgestellt wird, suchen wir uns noch schnell zwei „fiktive“ Begleiter aus Italien mit deren Passkopien für unseren Antrag. Ausgestattet mit einem Stapel Fotokopien von der Sondergenehmigung für die diversen Armeekontrollpunkte, fahren wir entlang des landschaftlich faszinierenden Industals zum Tso Moriri, ein See auf 4500 Meter Höhe, wo Nomaden geraden die letzen Vorbereitungen treffen, um sich in niedrigere, wärmere Gebiete zurückzuziehen. Auf 4750 Metern verbringen wir dort bei –10°C im Dachzelt(!) die wohl kälteste Nacht auf unserer Reise, bevor auch wir den Rückzug antreten.

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Bild: Einsame Kälte Bild: Endlose Weite
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Bild: Tso Moriri Bild: Nomaden

Über den Kardung Pass, den (angeblich) welthöchsten befahrbaren Pass (5602 Meter), erreichen wir das Nubra Tal. Ein sehr ursprüngliches Tal nördlich von Leh, für dessen Besuch man ebenfalls eine Sondergenehmigung benötigt. Der herbstliche Laubwald in den Tälern und die Sanddünen der hohen Wüsten vor schneebedeckten Gipfeln bilden einen sehr malerischen Kontrast. Und das alles in einer friedlichen, vom Buddhismus geprägten Umgebung mit sehr traditionsbewussten Einwohnern. Leider endet das Tal in einer (Grenz-) Sackgasse und wir sind froh, dass wir von Nordpakistan aus schon die andere Seite der sogenannten Waffenstillstandslinie besuchen konnten, allerdings mit einem Umweg von 2000 Kilometern. Zwischen diesen beiden Punkten unserer Reise liegt das höchste Gefechtsfeld der Welt auf dem Siachen Gletscher. In Höhen zwischen 6000 bis 7000 Metern stehen sich hier die pakistanischen und indischen Truppen seit Jahrzehnten gegenüber und kämpfen um 700 Quadratkilometer unwirtliche Eiswüste einen sinnlosen kalten Krieg.

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Bild: Kardung Pass Bild: Hohe Wüsten
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Bild: Goldenes Ladakh Bild: Ladakhi Frau

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Zwei Tage bevor die Straße aus Ladakh heraus offiziell geschlossen wird, schaffen wir knapp aber rechtzeitig die Überquerung nach Kaschmir. Leider halten die holprigen Passstraßen zum Abschied noch eine unangenehme Überraschung für uns bereit. Plötzlich bricht in der Abenddämmerung unser Reserveradträger und verschwindet zusammen mit beiden Reserverädern in den Fluten des 100 Meter tiefer gelegenen Indus. Was für ein Schreck! Das Gefühl, noch nahezu zweitausend Kilometer ohne Reserverad fahren zu müssen, ist nicht gerade sehr angenehm. Und in diesem Teil der Welt ist es völlig aussichtslos, passende Reifen und Felgen für unseren Geländewagen zu finden.
Uns bleibt also nichts anderes übrig, als unsere Etappe nach Srinagar, der Sommerhauptstadt von Kaschmir/Jammu, ohne Reserverad fortzusetzen. Die trockenen Hochebenen Ladakhs werden sehr bald durch eine immer grünere Landschaft mit schrofferen Bergen abgelöst. Als hätte man einen Schalter umgelegt, finden wir auch keine buddhistischen Klöster mehr, sondern Moscheen und der Muezzin lässt uns morgens nicht lange schlafen, wenn er vor Sonnenaufgang zum Gebet ruft.
Die mittelalterliche Stadt Srinagar liegt am Dalsee, der insofern von Bedeutung ist, da noch heute viele Kaschmiri auf den über 300 Hausbooten leben. Viele Hausboote stammen aus der Zeit, als die Region zu Britisch-Indien gehörte. Ein Gesetz verwehrte den Engländern damals, Land am Dalsee zu erwerben und so taten sie es den Einheimischen gleich und bauten riesige Hausboote, auf denen sie in den heißen Sommermonaten lebten. Heute stehen einige der Hausbooten den Touristen als Unterkunft zur Verfügung. Eine idyllische Bootstour gibt uns einen Einblick in diese faszinierende Welt. Schwimmende Händler bieten ihre Waren auf dem Wasser an und Menschen erreichen ihre Geschäfte nur mit dem Boot. Das ganze Leben findet auf dem Wasser statt. Wir genießen diese einmalige Atmosphäre mit Blick auf ein atemberaubendes Gebirgspanorama.

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Bild: Dalsee 1 Bild: Dalsee 2

Die Region Kaschmir hat leider auch noch eine andere Seite. Sowohl Pakistan als auch Indien beanspruchen seit 1948 ganz Kaschmir für sich, was zu diversen kriegerischen Auseinandersetzungen bis zum heutigen Tag geführt hat. Was man mit einem „offiziellen“ Krieg nicht erreicht hat, wird mit terroristischen Mitteln der verschiedenen Volksgruppen versucht. Mittendrin mischt dann noch eine politische Gruppe mit, die ein unabhängiges Kaschmir anstrebt. Die Militärpräsenz, die uns in ganz Himachal Pradesh und Ladakh schon extrem aufgefallen war, erreicht in Kaschmir ihren Höhepunkt. 85 Prozent der indischen Armee ist alleine in Kaschmir stationiert und jede halbwegs ebene Fläche wurde zu einem Armeecamp umgewandelt, so dass es am Abend oft nicht einfach ist, einen Campplatz zu finden. Die Bergstraßen und Pässe sind durch Militärkonvois verstopft und mindestens alle 100 Meter steht ein bewaffneter Soldat an der Straße. Wie Politiker in anderen Teilen der Welt, lernen zur Zeit auch die Inder, dass eine Erhöhung der militärischen Präsenz bis ins Uferlose ohne politische Lösung nicht zum Frieden führen kann.

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Bild: Militär in Srinagar

Aus rein logistischen Gründen verlassen wir Indien mit einer umfassenden Aufgabenliste in Richtung Nepal. In sechs sehr anstrengenden Tagesetappen erreichen wir Kathmandu. Unterwegs lassen wir uns einen kurzen Zwischenaufenthalt in den Nationalparks von Corbett und Bardia nicht entgehen. Überall ist die Freude groß, als wir nach vier Jahren wieder zu Besuch sind und wir fühlen uns wie zuhause.


Bild: Bardia Stopover

Bei unserer Ankunft in Nepal herrscht im ganzen Land eine sehr ausgelassene Stimmung. Gerade haben sich die wichtigsten politischen Parteien und die Maoisten nach einem elf Jahre langen blutigen Bürgerkrieg auf einen Friedensplan geeinigt, der alle Nepali auf eine friedliche Zukunft hoffen lässt.
Anders als die Touristen um uns herum, haben wir in Kathmandu ein volles Arbeitsprogramm. Das Einfliegen unserer neuen Reserveräder und Ersatzteile einschließlich der Zollabfertigung ist vorzubereiten, was Dank der hervorragenden und großzügigen Unterstützung von Goodyear, Toyota und Kaymar in Australien reibungslos läuft. Wie schon im Jahr 2002 ist Toyota Nepal eine sehr gute Adresse, um unseren Landcruiser einer umfassenden Wartung und Reparatur zu unterziehen. Zur Abrundung unseres Alltags erledigen wir die obligatorische Internetarbeit und unterziehen uns einer medizinischen „Wartung“. Last but not least sind neue Visa für Indien zu besorgen, was drei sehr zeitaufwändige Besuche bei der Botschaft und eine Woche Wartezeit erfordert. Die Verantwortlichen der wunderschönen Werbevideos für einen Indienbesuch sollten sich mal die harte Wirklichkeit eines Touristen, der ein indisches Visum beantragen will, in ihrer Botschaft anschauen.
Am 19.11.2006 haben wir nach 29.000 Kilometern auch den zeitlichen Mittelpunkt unserer Reise erreicht. Wir schauen mit Freude und Stolz auf eine sehr erlebnisreiche erste Hälfte unserer Tour und sind sehr gespannt, was der zweite Teile für Überraschungen und Erlebnisse bereithalten wird. Ganz besonders hat uns das persönliche Engagement für die Kinderhilfe Afghanistan bewegt, die wir natürlich auch weiterhin unterstützen werden. Wir freuen uns zusammen mit der Familie Erös über jede noch so kleine Spende.

Bevor wir unser Weihnachtscamp in Goa erreichen, steht uns noch eine sicherlich sehr aufreibende Fahrt von knapp 3000 Kilometern über den indischen Subkontinent bevor.

 

 

 

 

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