Gorno-Badakhshan (Juni 2006)

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Kaum jemand kennt die autonome Region Gorno-Badakhshan in Tadschikistan (Gorno-Badakhshanskaya Avtonomnaya Oblast, kurz: GBAO), obwohl sie bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ein Fokuspunkt der Weltpolitik zwischen den damaligen Weltmächten Russland und dem britischen Empire in Indien war. In diesem „Great Game“ ging es mit allen möglichen Tricks um die Vormachtstellung in Zentralasien, was nach einigen vergeblichen Bemühungen zu einer „politischen Grenzziehung“ führte, die den Wakhan-Korridor (heute Afghanistan) als entmilitarisierten Puffer mit der angrenzenden autonomen Region Gorno-Badakhshan als Ergebnis hatte. Dieser politische Status von dem GBAO-Gebiet hat sich bis heute auch in dem unabhängigen Staat Tadschikistan erhalten, was für das Reisen in diese Region besonders zeit- und kostenintensive Sondergenehmigungen zur Folge hat.

In Gorno-Badakhshan lag schon zur Blütezeit der Seidenstrasse eine Hauptroute, um die hohen Gebirgsketten des Hindukush und des Pamir zu umgehen. Wir gelangen von Dushanbe in diese Region über eine sehr schlechte und teilweise unbefestigte Straße, die nur im Sommer zu befahren ist. Zerstörte und ausgeschlachtete Panzer säumen als stille Zeitzeugen des Bürgerkrieges von 1991 –97 unseren Weg in einer sehr eindrucksvollen Gebirgslandschaft.


Bild Kriegsruinen

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Von Kalaikhum folgen wir der M41 für 260 Kilometer nach Khorog. Die Straße verläuft entlang des reißenden Panj-Flusses (ehemals Oxus und im weiteren Verlauf zum Aralsee auch Amu Darja genannt) direkt an der Grenze zu Afghanistan. Die Dörfer auf der afghanischen Seite sind zum Greifen nah und wir können dort das sehr einfache Leben beobachten. Wo sich am tadschikischen Flussufer eine Straße befindet, verläuft in Afghanistan nur ein Weg, der gerade mal zu Fuß oder von Eseln begangen werden kann.


Bild Panjtal

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Zum Glück sind die Zeiten vorbei, als unsere Wegstrecke Schauplatz wilder Schiessereien über den Grenzfluss hinweg war. Aber etliche Minenfelder am Weg zeugen von dieser Zeit und bei den tadschikischen Grenzsoldaten liegen immer noch die Nerven blank. Als wir ein Foto machen wollen, stürmt sofort ein Trupp bewaffneter Soldaten auf uns zu und möchte unsere Kamera abnehmen, was wir zum Glück nach einigen Diskussionen (mit Händen und Füssen) verhindern können. Für ähnliche Situationen halten wir künftig eine alte Reservekamera zum Vorzeigen parat.


Bild Minen überall

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Den schlechten Straßenzustand bekommen wir sehr nachhaltig zu spüren, als ein Erdrutsch die komplette Straße in den Fluss verschwinden lässt. Die Reparatur mit einem uralten, defekten Bulldozer sowie einigen Ladungen Dynamit dauert fast zwei Tage. Das Notcamp in Gesellschaft von vielen Leidensgenossen in Taxis, LKWs und Bussen war ein besonderes Erlebnis und unser Werkzeug half einige Male, um den Bulldozer überhaupt in Betrieb zu halten. Und wieder einmal stellen wir fest, dass man viel Zeit haben muss, wenn man in Zentralasien reisen will.

 An dieser Stelle müssen wir uns mal einen Punkt „von der Seele“ schreiben: Wenn nur ein Bruchteil der Hilfsgelder internationaler Regierungen und Organisationen nicht in die vielen fabrikneuen, blankgeputzten Geländewagen investiert werden würde, die in Dushanbe allenfalls vor Nobelrestaurants und exquisiten Geschäften zu sehen sind, sondern zum Beispiel in die eine oder andere Straßenbaumaschine, dann wäre dem Land sicherlich sehr geholfen.

 


Bild Straßenblockade


Bild Weitere Verkehrshindernisse

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Die „GBAO Hauptstadt“ Khorog dient uns für die nächsten Wochen als Ausgangspunkt für die weiteren Erkundungen entlang des sogenannten Pamir Highways, der 1931 aus strategischen (und Versorgungs-) Gründen vom sowjetischen Militär gebaut wurde und über insgesamt 760 Kilometer bis nach Osh in Kirgisien führt. Den Namen Highway trägt diese Straße nur aus einem Grund zurecht. Sie steigt sehr schnell von Khorog (2100 Meter) auf das Pamirplateau mit einer durchschnittlichen Höhe von 4000 Metern an, wo wir eine Landschaft vorfinden, die uns sehr an Tibet erinnert. Gleißende Helligkeit, niedrige Wolken, sehr trockene, staubige Luft und ein permanenter Wind, der besonders nachmittags und abends unser Dachzelt erschüttert, sind unsere ständigen Begleiter.

 

Wir planen unsere Route über Ishkashim und folgen zunächst dem Wakhan Tal auf der tadschikischen Seite, um anschließend über den Khargush Pass (4344 Meter) auf den Pamir Highway zu treffen. Wieder geht es 320 Kilometer direkt an der afghanischen Grenze entlang. Die russischen Grenztruppen sind hier vor einigen Jahren abgezogen und es ist kaum vorstellbar, dass dieses unübersichtliche Gebiet von den wenigen tadschikischen Soldaten vor (Drogen-) Schmugglern geschützt werden kann. Wir werden an diversen Checkpoints sehr freundlich und korrekt kontrolliert, was uns immerhin das Gefühl gibt, die Genehmigungen und Stempel in unseren Pässen nicht umsonst besorgt zu haben.

 


Bild Registrazia-Team

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Im Wakhan Tal zeugen die Ruinen sehr großer Festungen von der besonderen Schutzbedürftigkeit dieses Teils der Seidenstraße. Die Landschaft mit dem breiten Flusstal, das auf der afghanischen Seite vom Hindukush eingerahmt ist, beeindruckt uns sehr. Auch Marco Polo und andere große Entdecker folgten schon vor Jahrhunderten diesem Weg. Das seltene Marco Polo Schaf haben wir in der freien Natur nicht gesichtet aber das bis zu zwei Meter lange Geweih ist als Trophäe im Pamir allgegenwärtig. Hoffentlich führt die Jagdlust nicht zum Aussterben dieser besonderen Tierart.

In Yamchun genießen wir dann erst einmal die heiße Bibi Fatima Quelle, die nach der Schwester des Propheten Mohammed benannt wurde. Ein (Kur-) Arzt beaufsichtigt hier die sachgerechte Anwendung des 43 Grad warmen Heilwassers, das in Form eines Wasserfalls in einer Höhle aus dem Bergmassiv kommt..

 

Bild Festung im Wakhan Tal Bild Marco Polo Schaf
   
Bild Kurarzt mit Team Bild Heiße Quellen
   

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Langsam schrauben wir uns vom Wakhan Tal aus über eine staubige Gebirgspiste in die Höhe. Ein sehr einsamer und fahrerisch anspruchsvoller Streckenabschnitt. Je höher wir kommen, um so schwächer wird der Dieselmotor unseres Autos. Die dünne Luft wird mit einer schwarzen Rauchfahne und einem höheren Kraftstoffverbrauch quittiert. Deshalb sind Dieselfahrzeuge in dieser Region auch kaum im Gebrauch, was wir bei der sehr schwierigen Beschaffung von Dieselkraftstoff noch merken werden. Tankstellen gibt es nicht und mit sehr viel Glück findet man bei den Einheimischen die eine oder andere Flasche mit Diesel in schlechter Qualität und zu stark überhöhten Preisen. Besonders schlimm war die letzte Tank-Füllung. Trotz eines Zusatzstoffes zur Verbesserung der Dieselqualität, den wir vorsorglich aus Deutschland mitgebracht hatten, knattert unser Motor wie ein unrund laufender Rasenmäher und bleibt bei den ansteigenden Wegpassagen beinahe stehen. Kein gutes Gefühl in dieser Gegend !

 


Bild Pass am Hindukush


Bild Flaschentankstelle

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Wir lassen keine Gelegenheit aus, um entlang des Pamir Highways die Seitentäler zu erkunden. Hier entdecken wir die unterschiedlichsten Landschaften. Grandiose Gebirgsseen, liebliche, grüne Täler mit Yaks und zerklüftet, schroffe Bergregionen faszinieren uns. Unser Traumcamp ist Eli Su, wo in einem schmalen Tal einige Jurten stehen und drei heiße Quellen unterschiedlicher Temperaturen zum Baden einladen. Die Jurten werden übrigens in der kalten Jahreszeit mit dem heißen Wasser geheizt, wofür die Innenausstattung um einige Heizkörper einer Zentralheizung ergänzt wurde. Der „Familienanschluss“ ist wie immer herzlich und die Gastfreundschaft überschwänglich.

Bild Eli Su Bild Gemuetliche Jurte
   
Bild Yashil Kul Bild Mount Muzkol
   
Bild Taumcamp mit Wind Bild Kara Kul
   

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Alle diese Landschaften stehen in krassem Gegensatz zum eigentlichen Pamir Hochplateau, das uns ein Gefühl unendlicher Weite gibt. Entlang der chinesischen Grenze ist ein Stacheldrahtzaun aus „alten Zeiten“ unser ständiger Begleiter. Ganz im Geist der alten Seidenstraße hat China diese langjährige Trennung überwunden und im letzten Jahr eine Straße über den Kulma Pass (4363 Meter) gebaut, um den Handel mit Tadschikistan zu intensivieren. Seitdem kommen täglich einige LKWs mit chinesischen Waren in dem kleinen Städtchen Murghab an. Der alte Handelsweg der Seidenstraße zwischen China und Zentralasien wird somit wieder belebt und die vielen chinesischen Waren auf den Basaren des GBAO schaffen Fakten, die kaum durch eine „fein dosierte“ Entwicklungshilfe westlicher Nationen aufgewogen werden könnte.

Bild Hochebene Bild Pamirhighway am Zaun
   
Bild Höchster Punkt Bild Werkstatt mit Aussicht
   

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Wie wenig Rücksicht bei den damaligen Grenzziehungen in dieser Region auf die Belange der lokalen Bevölkerung genommen wurde, kann man sehr leicht feststellen. Im Ostteil des GBAO dominieren eindeutig die Kirgisen, die sich als Nomaden eher nach Kirgisien hin orientieren, als dass sie sich wie Staatsangehörige von Tadschikistan fühlen. Die Tadschiken im Westen des GBAO leben in festen Häusern und betreiben ihre Felder auf dem wenigen fruchtbaren Land entlang der Täler. Und dann gibt es noch die Pamiri. Die Trennung bzw. Zwangszusammenführung ethnischer Gruppen durch die beliebige Grenzziehungen ist in Zentralasien leider Gang und Gäbe. Viele lokale Konflikte sind hier vorprogrammiert.

 

Bevor wir wieder über den Pamir Highway nach Korogh zurückkehren, statten wir noch der ehemaligen Militärstadt Murghab einen Besuch ab. Vorsorglich hatten wir uns dort verabredet, um 100 Liter Diesel zu tanken. Leider war der Diesel inzwischen verkauft und unser „Geschäftspartner“ unauffindbar. Wie die Trüffelschweine ziehen wir mit Unterstützung von Hermat, einem ehemaligen Künstler aus St. Petersburg, um die Häuser, um Diesel aufzuspüren. Reisen in diesem Gebiet der Welt ist eben noch etwas Besonderes und auch der Basar von Murghab hat den Flair des „wilden Ostens“.


Bild Murghab City


Bild Pamirsupermarkt

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Mit Spannung blicken wir auf den nächsten Abschnitt unserer Reise, der uns in den abgelegenen Wakhan-Korridor in Afghanistan führen wird. Wir haben uns in den letzten Wochen gut an extremere Höhen akklimatisiert und reisen mit Proviant für zwei bis drei Wochen weiter. Wenn die Pisten ein Weiterkommen mit unserem Auto in Afghanistan nicht mehr zulassen, werden wir mit Pferden weiterziehen, um die Familien im Kleinen Pamir zu erreichen und unseren Botendienst für die Kirgisen aus Ulupamir in der Ost-Türkei zu erfüllen (siehe unseren „Ulupamir-Bericht“ vom April 2006). Uns ist bewusst, dass wir eine der entlegensten und unzugänglichsten Regionen der Welt bereisen werden und sind schon sehr neugierig, was uns dort erwartet.

Eine aktuelle Information ueber die Tatigkeit
der Kinderhilfe Afghanistan finden sie hier.

 

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