Geheimnisvolles Tuwa
Ein Sommer in Sibirien
(Juni – September 2011)
„Wie bitte – nach Sibirien wollt Ihr fahren – was wollt Ihr denn da ?“ Diese Frage wurde uns oft gestellt, bevor wir uns im Sommer 2011 mit unserem Toyota auf den Weg in Richtung Osten gemacht haben, um die autonomen Republik Tuwa an der mongolischen Grenze zu bereisen.
Sibirien - das ist für viele gleichzusetzen mit Kälte, Taiga, Mafia, Autodiebstahl, Mücken, Sümpfen, Gulag und Verbannung - und dann noch die unverständliche Sprache sowie die aus westlicher Sicht abschreckende Mentalität der Russen. Wir haben dieses Abenteuer gewagt und dabei sehr wertvolle Eindrücke mitgenommen. Die autonome Republik Tuwa in der russischen Föderation war uns nicht unbekannt, denn 2007 wurden wir schon einmal auf diesen kleinen, unbekannten Fleck auf der Landkarte aufmerksam. Leider fehlte uns damals auf der Rückreise aus der Mongolei die Zeit zu einem Abstecher in diese sehr abgeschiedene Region.
Und was ist nun so interessant an Tuwa?
Zunächst sind es die vielfältigen Landschaften auf einer Fläche, die ungefähr 1 ½ mal so groß wie die neuen Bundesländer ist und das bei nur 310.000 Einwohnern mongolisch-nomadischen Ursprungs. Neben den Wüsten, den Steppen und der Taiga findet man dort auch die Eisriesen des Altai-Gebirges. Flora und Fauna sind einzigartig. Biologen schätzen diese Gegend wegen der endemischen Pflanzen. In keiner anderen Region der Welt findet man Kamele, Yaks, Rentiere und Bären (nahezu) gemeinsam in der freien Natur.
Die Bevölkerung in Tuwa glaubt überwiegend an die tibetische Form des Buddhismus und fühlt sich in großen Teilen auch dem Schamanismus sehr verbunden. Obwohl Stalin in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts die tuwinische Kultur durch Deportation sowie Erschießung der Lamas und Schamanen nahezu vernichten ließ, kann man die traditionellen Lebensformen heute an vielen Stellen wieder erleben. Seit dieser Zeit gibt es immer wieder Spannungen zwischen Tuwinern und Russen, die nach den bürgerkriegsähnlichen Vorkommnissen vor ca. 10 Jahren größtenteils die Region verließen. Man tut übrigens gut daran, sich bei Tuwinern möglichst schnell als Nichtrusse zu outen.
Der lange Weg nach Tuwa
Immerhin kürzen wir die lange Strecke nach Sibirien etwas ab, indem wir von Lübeck nach St. Petersburg die LKW-Fähre „Transeuropa“ nehmen. Die sehr angenehmen zweieinhalb Tage auf See nutzen wir, um vom hektischen Alltag in Deutschland etwas „runterzukommen“ und unsere Reisepläne zu konkretisieren. Bei der Ankunft im Stadthafen von St. Petersburg sind wir das einzige Auto, das von der Fähre rollt. Innerhalb von 30 Minuten werden die Einreiseformalitäten erledigt – sogar mit deutschsprachigen Zollformularen. Im Vergleich zu unseren letzten Russlandreisen ist alles sehr viel einfacher geworden. Nur das „Registrazia-Relikt“ ist noch aus UDSSR-Zeiten übrig geblieben. Nach einer kurzen Zwangspause auf einem internationalen Campingplatz sind auch diese Formalien erledigt und wir können uns im Land frei bewegen.
Jetzt geht es auf den Magistralen parallel zur Transsibirischen Eisenbahn immer in Richtung Osten. Jeder Versuch, eine Abkürzung von diesen Hauptrouten zu nehmen, endet im Nirwana. Entweder sind Brücken weggespült oder eine Fähre hat ihren Betrieb vorübergehend eingestellt. Also heißt es für uns, immer schön auf der Hauptstraße zu bleiben und im günstigsten Fall mit Tempo 80 km/h zu fahren. In den unzähligen Orten und Städten beträgt die Geschwindigkeitsbegrenzung 60 km/h - häufig nur 40 km/h. Die Polizei lauert mit Lasern überall und man ist gut beraten, sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung zu halten.
15 Tage sind wir bis nach Tuwa unterwegs. Wir haben uns Zeit gelassen und Sightseeing-Stopps in Kazan, Jekaterinburg und Novosibirsk eingelegt. Abseits der Magistralen finden wir in Wäldern oder an Flüssen immer wieder sehr schöne Camps. Und sehr zu unserer Überraschung gibt es in diesem Jahr kaum Stechmücken. Die großen Städte hinter dem Ural haben in den letzten Jahren einen Boom erlebt. Wir staunen nicht schlecht. Ikea, Mediamarkt, Lidl, Obi …. sind hier im XXL-Format vorhanden. Unser Auto ist mit Abstand das Älteste... Und das Bild von Russlands Osten müssen wir in unseren Köpfen etwas zurechtrücken. Außerhalb der großen Städte finden wir dann aber ein Russland mit den kleinen Holzhäusern und traditionellen Märkten statt Shopping Malls.
Ankunft in Tuwa
Nach 5.680 Kilometern haben wir es endlich geschafft. Wir stehen an einer der beiden Passstraßen nach Tuwa an der Grenze. Ein sehr netter Grenzbeamter freut sich nach der obligatorischen Passkontrolle, dass wir sogar die Flagge von Tuwa als Sticker dabei haben.
Unser erster Weg führt uns nach Kyzyl, der Hauptstadt Tuwas, in ein kleines touristisches Jurtencamp, das uns als Basislager für unsere Mehrtagestouren dient. Hier erleben wir auch zusammen mit einer französischen Ärztegruppe unsere erste Feuerzeremonie mit einem Schamanen. Die Ärzte haben von den Heilungserfolgen der Schamanen gehört und wollen sich darüber vor Ort informieren. Am nächsten Tag geht es in ein Krankenhaus, in dem ausschließlich Schamanen arbeiten. Die Schamanen haben eine Ähnlichkeit mit den nordamerikanischen Indianern. Diese Ähnlichkeit ist nicht zufällig, denn mittlerweile wurde genetisch nachgewiesen, dass die indianischen Vorfahren vor einigen tausend Jahren über die zugefrorene Beringstraße aus Tuwa kamen.
Im Nationalmuseum von Kyzyl besichtigen wir im Tresorraum das skythische Gold. Dieser Goldschatz wurde erst im Jahr 2003 von einem deutsch-russischen Archäologen-Team in einem Kurgan (Hügelgrab eines Skythen-Königs) in Tuwa gefunden und zählt zu den weltweit bedeutendsten Goldschätzen.
Abstecher nach Todzha
Die erste längere Tour führt uns auf holprigen Pisten in den Nordosten der Gebirgstaiga von Todzha. Hier im Sayan-Gebirge sehen wir sogar die ersten Rentiere. In diesem Gebiet entspringt auch der Jenissej, bevor er nach knapp 3500 Kilometern im Nordpolarmeer mündet. An vielen Stellen kann man den Jenissej nur auf motorlosen Seilfähren überqueren. Am Todzha-Bergsee angekommen, unternehmen wir die ersten Touren mit unserem Expeditionsschlauchboot. Für die Fischer ist es unverständlich, wie man mit einem Boot nur so zum Spaß rumfahren kann.
In der Wüste
Nach einigen Regenfällen werden die Wege in Todzha sehr schlammig und wir beschließen, in die Wüsten- und Steppenregion nach Süden an die mongolische Grenze auszuweichen. Was für ein landschaftliches Kontrastprogramm. Nach Schlamm, Sümpfen, Wäldern und Rentieren finden wir uns nach nur 200 Kilometern in einer trockenen Wüstenlandschaft mit Kamelen wieder. An der Grenze zur Mongolei können wir uns leider nicht sehr lange aufhalten, weil wir die offizielle Grenzgenehmigung nicht haben.
Bei den Nomaden am Milchsee
GalerieIm Osten und Süden waren wir schon - also fahren wir als nächstes in den „wilden Westen“ von Tuwa zu den Halbnomaden am Milchsee. Die Fahrt durch die Gebirgstaiga ist nochmals anspruchsvoll und wir dürfen mehrmals unsere Sandbleche im Sumpf einsetzen. Wir sind das einzige Auto weit und breit, weil man in dieser Gegend sehr viel besser mit einem Pferd unterwegs ist. Ab und zu besuchen uns unsere Nachbarn aus der einige Kilometer entfernten Jurte und spendieren uns Pinienzapfen als Beilage zum Tee.
Das Naadym-Fest
Mitte August findet traditionell das Naadym-Fest statt. Zu diesem Fest kommen alle Stämme Tuwas in Kyzyl zusammen und präsentieren ihre regionalen Trachten, die Jurten und Zeltbehausungen Neben dem eigentlichen Reitwettkampf finden noch Ringkämpfe sowie Gewichtheben mit 120 kg schweren Steinen statt. Das Ganze hat schon fast Volksfestcharakter. Es wird gesungen, getanzt und natürlich gegessen. Eine typische Spezialität ist die Schafsblutwurst, die mit Innereien und Buttertee serviert wird. Wir erleben hier auch den in dieser Region praktizierten Kehlkopfgesang.
Taiga-Werkstatt
Nach dem Naadym-Fest brechen wir zu unserer letzten Tour in Tuwa auf. Hier bemerken wir, dass unsere Vorderachse Öl verliert. Damit können wir auch nicht mehr im Allradbetrieb unterwegs sein, was für unsere weitere Tour aber unentbehrlich ist. Alle provisorischen Dichtungsversuche scheitern, aber wir lernen zum Glück in einem Nationalpark zwei Automechaniker kennen, die uns weiterhelfen. Was für ein mulmiges Gefühl, wenn man auf einer sibirischen Wiese – über 5000 km von Berlin entfernt - die komplette Vorderachse zerlegt hat. Immerhin, wir haben es gemeinsam geschafft und den Erfolg mit Wodka und rohem Fisch gefeiert
Altai-Überquerung
GalerieJetzt sind wir wieder für unsere nächste große Etappe gerüstet. Wir wollen von Tuwa über die hohen Pässe in das Altai fahren. Der Umweg über befestigte Wege würde eine (viel zu lange) Strecke von 2300 Kilometern bedeutet. Die Abkürzung durch das Grenzgebiet zur Mongolei ist mit 360 Kilometern somit unsere Wahl. Die Sondergenehmigung für diese Region haben wir leider nicht, da die Ausstellung der Genehmigung 5 Wochen dauern würde. Und da wollten wir eigentlich schon wieder zu Hause sein. Unterwegs treffen wir keine Menschen – im Grenzgebiet dürfen wahrscheinlich noch nicht einmal die Nomaden ihre Jurten errichten. Das Altai ist eine atemberaubend schöne Region, die nicht umsonst als die Schweiz Russlands bezeichnet wird. Mitten im Nirgendwo reist uns dann auch noch der Auspuff am Motorblock ab. Zum Glück stört der Höllenlärm hier niemanden.
Auf halber Strecke treffen wir auf ein sechs Kilometer langes Sumpfgebiet an einem wunderschönen Bergsee in dem wir uns einige Male gnadenlos festfahren. Das Bergen unseres Autos ist echte Knochenarbeit. Für diese sechs Kilometer brauchen wir fast acht Stunden. Unsere Freude über die erfolgreiche Sumpfpassage wird am nächsten Tag schlagartig gedämpft. Kurz nach der Passüberquerung werden wir von einer berittenen Militärstreife gestoppt. Man will die (nicht vorhandene) Sondergenehmigung sehen. Unser erster Gedanke ist: Hoffentlich schicken die uns nicht wieder durch den Sumpf zurück. Aber wir haben Glück. Der Offizier wünscht uns auf Deutsch eine gute Weiterreise. Er hatte in der DDR gedient und die Deutschen anscheinend in guter Erinnerung behalten.
Zurück nach Deutschland
Inzwischen ist es Ende August und es ist schon sehr herbstlich geworden. Höchste Zeit, um nach einer kurzen Erholungspause im Altai in Richtung Deutschland zu starten. Wir folgen wieder den unendlichen Magistralen Richtung Westen, überqueren den Ural und erreichen in Helsinki die Fähre nach Rostock. Was für ein Kontrastprogramm nach 73 Tagen und 16.000 Kilometern auf einer Touristenfähre zu landen.
Wir haben an Bord noch etwas Zeit, die Eindrücke unserer Reise zu reflektieren. Sibirien und besonders Tuwa haben uns sehr begeistert. Wir können jedem Überlandreisenden empfehlen, nicht nur zum Baikalsee zu fahren, sondern einen Abstecher in Tuwa einzuplanen.