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Heart-of-Silkroad | Berlin - Babylon - Bagdad
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Berlin - Babylon - Bagdad (September 2022)

Am Eingang von Babylon
Am Eingang von Babylon

Noch nie haben wir so lange in den Start­lö­chern ge­stan­den, um wie­der eine län­ge­re Reise au­ßer­halb Eu­ro­pas un­ter­neh­men zu kön­nen. Seit Jah­ren pla­nen wir, neue Rou­ten ent­lang his­to­ri­scher Ka­ra­wa­nen­we­ge auf der Ara­bi­schen Halb­in­sel mit un­se­rem To­yo­ta zu be­rei­sen. Ges­tern wie heute sind dabei Ba­by­lon und Bag­dad Kno­ten­punk­te und Sehn­suchts­zie­le von vie­len Rei­sen­den und na­tür­lich auch von uns. Auf un­se­rer Reise sol­len wir eine sehr in­ter­es­san­te Mi­schung aus be­deu­ten­den Orten der An­ti­ke und einer durch­aus schwie­ri­gen Ge­gen­wart nach jahr­zehn­te­lan­gen Krie­gen er­le­ben. Zum Glück wur­den nach der Co­ro­na-Pan­de­mie viele Lan­des­gren­zen wie­der ge­öff­net und die Ein­rei­se­re­ge­lun­gen blie­ben sta­bil, was für eine län­ger­fris­ti­ge Pla­nung sehr wich­tig ist. Um auf dem Land­weg nach Ba­by­lon und wei­ter nach Sau­di-Ara­bi­en zu fah­ren, war es eine Vor­aus­set­zung, dass die Si­cher­heits­la­ge im Irak sta­bil ist und sich Sau­di-Ara­bi­en nach vie­len Jahr­zehn­ten als „tou­ris­ti­sche No-Go-Area“ für Rei­sen­de ge­öff­net hat. Somit konn­te auch end­lich eine Reise in das so­ge­nann­te Zwei­strom­land - dem heu­ti­gen Irak - für uns Rea­li­tät wer­den. Ende Au­gust 2022 sind wir von Ber­lin aus über den Bal­kan, die Tür­kei und den Iran ge­star­tet, um zu­nächst in Rich­tung Ba­by­lon und dann wei­ter nach Bag­dad zu fah­ren. Sau­di-Ara­bi­en konn­ten wir bei der Wei­ter­rei­se nur über einen Umweg durch Ku­wait er­rei­chen, weil nach of­fi­zi­el­len Ver­laut­ba­run­gen für Tou­ris­ten kein di­rek­ter Grenz­über­gang in den Irak ge­öff­net ist. Über un­se­re sehr er­leb­nis­rei­che, sie­ben­wö­chi­ge Tour durch Sau­di-Ara­bi­en wer­den wir dem­nächst an die­ser Stel­le be­rich­ten. Für eine weih­nacht­li­che Rei­se­pau­se haben wir im De­zem­ber 2022 un­se­ren To­yo­ta in Dubai vor­über­ge­hend ab­ge­stellt, um im März 2023 die Rück­rei­se an­zu­tre­ten.

Anreise über den Balkan, Türkei und Iran

Da wir den größ­ten Teil un­se­rer drei­mo­na­ti­gen Aus­zeit auf der Ara­bi­schen Halb­in­sel ver­brin­gen wol­len, durch­que­ren wir die Tür­kei zügig. Im nord­west­li­chen Iran fol­gen wir dann den his­to­ri­schen Ka­ra­wa­nen­we­gen von Rey (dem heu­ti­gen Te­he­ran) bis nach Bag­dad. Über den Grenz­über­gang Shal­am­cheh rei­sen wir in den Irak ein.

Unser ers­ter län­ge­rer Auf­ent­halt in der Tür­kei ist die Re­gi­on Ost­ana­to­li­en, die man mitt­ler­wei­le über teils 8-spu­ri­ge Au­to­bah­nen und gute Land­stra­ßen schnell er­reicht. Die Tür­kei hat in den letz­ten Jah­ren sehr viel in eine mo­der­ne In­fra­struk­tur in­ves­tiert. Trotz die­ser ra­san­ten Ent­wick­lung sind die Men­schen so lie­bens­wert und gast­freund­lich ge­blie­ben, wie wir sie von un­se­ren Rei­sen in den letz­ten Jahr­zehn­ten noch in Er­in­ne­rung hat­ten. Ost­ana­to­li­en ist land­schaft­lich und kul­tur­his­to­risch wirk­lich ein ab­so­lu­tes High­light in der Tür­kei.

Wie schon 2002 wol­len wir noch­mals den Nem­rud Kra­ter be­su­chen. Die­ser ru­hen­de Schicht­vul­kan am Berg Nem­rud hat uns mit sei­ner bi­zar­ren Schön­heit schon da­mals sehr be­ein­druckt. Heute führt eine asphal­tier­te Stra­ße 20 Ki­lo­me­ter bis zum Kra­ter­rand auf eine Höhe von 2200 Me­tern. In­zwi­schen gibt es hier sogar einen Ski­lift. Im Kra­ter­in­ne­ren hat sich seit un­se­rem ers­ten Be­such nichts ver­än­dert. Viele Wege füh­ren zu den bei­den Kra­ter­se­en und den teils aus­ge­trock­ne­ten Was­ser­flä­chen. Wo die 4x4-Pis­ten enden muss man dann die Wan­der­stie­fel raus­ho­len, um die gi­gan­ti­schen Aus­bli­cke zu ge­nie­ßen. Neu sind nur zwei Bä­ren­fa­mi­li­en, die hier seit ei­ni­gen Jah­ren ihr Un­we­sen trei­ben und abends nach Pick­nick­res­ten im Müll su­chen. Wir ver­mei­den den Kon­takt mit den hung­ri­gen Pelz­tie­ren und schla­gen unser Camp in si­che­rer Ent­fer­nung zum Bä­ren­re­vier am See auf.

Blick in den Nemrud Krater
Blick in den Nemrud Krater

Ganz in der Nähe liegt auf 1700 Me­tern der rie­si­ge Van-See, der sie­ben­mal so groß wie der Bo­den­see ist und nach einer Erup­ti­on des Nem­rud-Vul­kans kei­nen na­tür­li­chen Ab­fluss mehr hat, was ihn zu die­ser Größe an­wach­sen ließ. Ein sehr in­ter­es­san­ter Zwi­schen­stopp am nord­öst­li­chen Ufer ist ein kir­gi­si­sches Jur­ten-Camp. In den letz­ten Jahr­zehn­ten haben sich viele Kir­gi­sen aus dem Pamir in die­ser Re­gi­on an­ge­sie­delt und las­sen Rei­sen­de hier im Camp an ihrem Le­bens­stil aus Zen­tral­asi­en teil­ha­ben.

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2006 in Ulupamir
2006 in Ulupamir - Slideshow

Auf un­se­rer Route in Rich­tung Iran haben wir noch einen ganz per­sön­li­chen Auf­trag, der uns wirk­lich sehr am Her­zen liegt. Nörd­lich vom Van-See liegt das Dorf Ulu­pa­mir, das wir schon vor 16 Jah­ren be­sucht hat­ten. Die dort le­ben­den Ge­birgs­kir­gi­sen kom­men ur­sprüng­lich aus dem Hohen Pamir im Wak­han-Kor­ri­dor im Nord­os­ten Af­gha­nis­tans. Sie wur­den aber 1978 zu Zei­ten der so­wje­ti­schen Be­sat­zung zum Spiel­ball der Welt­po­li­tik und ein Teil der Men­schen muss­te flie­hen. Im ei­gens für sie neu ge­grün­de­ten Ort Ulu­pa­mir in Ost­ana­to­li­en be­ka­men sie Asyl und fan­den dort ein neues Zu­hau­se. Da es kei­nen Kon­takt mehr zwi­schen den Ge­flüch­te­ten und den zu­rück­ge­blie­be­nen Fa­mi­li­en­an­ge­hö­ri­gen im Hohen Pamir gab, haben wir uns 2006 als Post­bo­ten in be­son­de­rer Mis­si­on an­ge­bo­ten und Brie­fe, Fotos, be­spro­che­nen Kas­set­ten und von Kin­dern ge­mal­te Bil­der auf un­se­re wei­te­re Reise mit­ge­nom­men. Als wir drei Mo­na­te spä­ter Af­gha­nis­tan er­reich­ten, fan­den wir im Hohen Pamir wäh­rend einer sehr an­spruchs­vol­len zehn­tä­gi­gen Ge­birgs­tour die zu­rück­ge­blie­be­nen Kir­gi­sen und konn­ten die Post aus der Tür­kei über­ge­ben. Die Trä­nen des Groß­va­ters, der erst­mals ein Foto sei­nes En­kel­kin­des aus Ulu­pa­mir sieht, wer­den wir wohl nie ver­ges­sen. Die ganze Ge­schich­te fin­det man unter: Völ­ker­wan­de­rung nach Ulu­pa­mir und Post für den Pamir unter die­sen bei­den Links.

Nach 16 Jahren wieder in Ulupamir
Nach 16 Jahren wieder in Ulupamir

Aber ei­gent­lich war unser Auf­trag damit noch nicht wirk­lich be­en­det, denn die Men­schen in Ulu­pa­mir haben nie er­fah­ren, was aus ihrer Post ge­wor­den ist. Das wol­len wir nun nach­ho­len. 16 Jahre sind aber auch an Ulu­pa­mir nicht spur­los vor­bei­ge­gan­gen und die Mo­der­ne hat hier eben­falls Ein­zug ge­hal­ten. Das Dorf hat mitt­ler­wei­le eine be­fes­tig­te Stra­ße, eine grö­ße­re Schu­le und eine neue Mo­schee. Auf den Wei­den wur­den die Yaks durch an­de­re Nutz­tie­re er­setzt und das Handy ist wie bei uns ein stän­di­ger Be­glei­ter der Men­schen.

Mit dem Face­book-Ad­mi­nis­tra­tor von Ulu­pa­mir haben wir vor un­se­rer An­kunft Kon­takt auf­ge­nom­men und un­se­ren Be­such an­ge­kün­digt, so dass man wuss­te, wer da mit einem Auto aus Ber­lin an­rollt. Wir wer­den herz­lich auf­ge­nom­men und fin­den sogar noch Men­schen, die auch vor 16 Jah­ren dort ge­lebt haben. Vor allem die Kin­der, die uns so viele Bil­der mit­ge­ge­ben hat­ten und mitt­ler­wei­le er­wach­sen sind, er­ken­nen sich auf den alten Fotos wie­der. Wir tref­fen auch auf einen in­zwi­schen sehr be­tag­ten Mann aus dem Hohen Pamir, der heute in Ulu­pa­mir lebt. Er er­in­nert sich sogar noch an un­se­ren Be­such in Af­gha­nis­tan. Es war wie­der ein sehr er­grei­fen­der Be­such. Die ganze Dorf­ge­mein­schaft bit­tet uns wie­der­zu­kom­men und nicht noch ein­mal 16 Jahre zu war­ten.

Für uns geht es wei­ter in Rich­tung tür­kisch-ira­ni­scher Gren­ze, vor­bei am gro­ßen und klei­nen Berg Ara­rat. Die Gren­ze bei Do­gu­ba­ya­zit ist ein grö­ße­rer Grenz­über­gang. Wir haben uns nach lan­gem hin und her für diese Gren­ze ent­schie­den, da wir hof­fen, dass die Be­am­ten hier bei den For­ma­li­tä­ten für aus­län­di­schen Fahr­zeu­ge mehr Er­fah­rung haben als an einem klei­ne­ren Grenz­über­gang wei­ter im Süden. Al­ler­dings haben uns die vie­len hun­dert schii­ti­schen Pil­ger auf dem Weg in die hei­li­ge Stadt Ker­ba­la im Irak bei der etwas chao­ti­schen Grenz­ab­fer­ti­gung ei­ni­ge Stun­den Zeit ge­kos­tet.

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Im Iran an­ge­kom­men er­le­ben wir wie­der diese gran­dio­se Gast­freund­schaft und ver­brin­gen ei­ni­ge Tage bei un­se­ren Freun­den. Über Tä­briz und Te­he­ran fol­gen wir dann im Wes­ten des Lan­des der ehe­ma­li­gen Sei­den­stra­ße nach Ha­ma­dan und Ker­m­ans­hah bis an die ira­ki­sche Gren­ze. Über eine gut aus­ge­bau­te Au­to­bahn, dem Asien High­way No. 2, geht es hier vom ira­ni­schen Hoch­pla­teau in die ira­ki­sche Tief­ebe­ne. In die­ser Grenz­re­gi­on gab es aber auch schon vor der Blü­te­zeit der Sei­den­stra­ße eine Han­dels­stra­ße, die unter dem Namen „Alte Kö­nigs­stra­ße“ be­kannt war. Sie führ­te über Bag­dad bis nach Kap­pa­do­ki­en in der Zen­tral­tür­kei. Im Ganj Na­meh-Tal wie auch an den Biso­tun-Fel­sen be­fin­den sich Zeug­nis­se die­ser be­weg­ten Epo­che in Form von Stein­re­liefs und Keil­schrift­ta­feln aus der Zeit von Da­ri­us I (522-486 v. Chr.) und Xer­xes I (486-465 v. Chr.). Ab­so­lut se­hens­wert.

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Irakische Botschaft in Teheran (2002)
Irakische Botschaft in Teheran (2002)

Wir sind ge­ra­de eine Woche im Iran, als die po­li­ti­schen Un­ru­hen nach dem Tod einer jun­gen Frau be­gin­nen. Für uns war es etwas miss­lich, dass das In­ter­net ab­ge­stellt wird und wir nur über den kost­spie­li­gen Umweg un­se­rer deut­schen SIM-Kar­te on­line ar­bei­ten kön­nen. Aus­schrei­tun­gen wie sie in den west­li­chen Me­di­en ge­zeigt wer­den, sehen wir aber nicht. Nur Stra­ßen­sper­ren in den Städ­ten und ein hohes Po­li­zei­auf­ge­bot. Al­ler­dings ist die Po­li­zei sehr ner­vös und so wer­den wir zwei­mal an­ge­hal­ten und unser Auto nach Waf­fen durch­sucht.

Wir ver­las­sen den Iran vol­ler Dank­bar­keit. Es war wie­der sehr in­spi­rie­rend durch die­ses wun­der­schö­ne Land zu rei­sen. Möge die Zu­kunft dem Iran und sei­nen lie­bens­wer­ten Men­schen ge­sell­schaft­li­che Sta­bi­li­tät und ein fried­vol­les Leben brin­gen.

Die Haupt­han­dels­rou­te der Sei­den­stra­ße zwi­schen Per­si­en und Eu­ro­pa ver­lief einst über Bag­dad und genau die­ses klei­ne Teil­stück der Sei­den­stra­ße im Irak fehlt noch in un­se­rer Rei­se­his­to­rie. Nun hof­fen wir, dass uns die Ein­rei­se die­ses Mal nicht ver­wehrt wird. Denn als wir 2002 in der ira­ki­schen Bot­schaft in Te­he­ran ein Tran­sit­vi­sum über den Irak nach Jor­da­ni­en be­an­tra­gen woll­ten, wur­den wir lei­der ab­ge­wie­sen. Fünf Mo­na­te vor dem drit­ten Golf­krieg und der In­va­si­on unter Füh­rung der USA war es da­mals nicht mehr mög­lich, den Irak und Bag­dad zu be­su­chen.

Grenzübergang Shalamcheh
Grenzübergang Shalamcheh

Zum Glück sind diese Kriegs- und Kri­sen­zei­ten wei­test­ge­hend (und hof­fent­lich nicht nur vor­über­ge­hend) über­wun­den und man be­kommt das Tou­ris­ten­vi­sum sowie die Ge­neh­mi­gun­gen für das Fahr­zeug bei der Ein­rei­se. Die For­ma­li­tä­ten be­wäl­ti­gen wir in einem mehr­stün­di­gen sehr un­über­sicht­li­chen Ma­ra­thon am Grenz­über­gang Shal­am­cheh zwi­schen Ba­ra­cken auf einem rie­si­gen, stau­bi­gen Ge­län­de. Alles wird noch hand­schrift­lich be­ar­bei­tet und nach Aus­sa­ge der Grenz­be­am­ten über­que­ren in die­ser Zeit nur zwei bis vier Fern­rei­sen­de mit ihren Fahr­zeu­gen pro Monat diese Gren­ze. Da fehlt neben den Com­pu­tern si­cher auch noch etwas Rou­ti­ne.

Irak - Land zwischen Euphrat und Tigris

Unsere Route im Irak   ( Maps data: ©2023 Google Maps GISrael)
Unsere Route im Irak ( Maps data: ©2023 Google Maps GISrael)

Der Irak, das alte Me­so­po­ta­mi­en und die so­ge­nann­te Wiege der Mensch­heit hat so­wohl im Mit­tel­al­ter zur Hoch­zeit der Sei­den­stra­ße als auch in der Zeit der christ­li­chen und vor­christ­li­chen Ära vor mehr als 6000 Jah­ren eine ganz be­deu­ten­de Rolle in der Kul­tur­ent­wick­lung der ge­sam­ten Re­gi­on ge­spielt. Der Irak wurde in den heu­ti­gen Gren­zen aber erst vor 100 Jah­ren aus den os­ma­ni­schen Pro­vin­zen Bag­dad, Basra und Mosul ge­grün­det.

Was ver­bin­det man mit einem Land, das uns aus den Me­di­en fast aus­schließ­lich als Kri­sen­herd be­kannt ist? Es sind die Bil­der von Krieg, Zer­stö­rung, Flucht, Man­gel, Hun­ger und der Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on Is­la­mi­scher Staat. Der Irak steht als Rei­se­land nicht ge­ra­de im Fokus von Tou­ris­ten, zudem das Aus­wär­ti­ge Amt auch immer noch eine Teil­rei­se­war­nung aus­spricht. In der Haupt­stadt Bag­dad kommt es immer wie­der zu Aus­schrei­tun­gen, das po­li­ti­sche Sys­tem ist in­sta­bil und kor­rupt, die kur­di­schen, schii­ti­schen und sun­ni­ti­schen Volks­grup­pen sind zer­strit­ten und wirt­schaft­li­che Pro­ble­me ma­chen den Men­schen zu schaf­fen.

Und immer wie­der wird uns die Frage ge­stellt: „Was wollt ihr denn im Irak?“
Wir wol­len uns selbst ein Bild ma­chen, das Land mit un­se­ren Augen sehen, mit den Men­schen spre­chen und deren All­tag er­le­ben. Wir glau­ben, dass un­se­re Me­di­en nur ein un­voll­stän­di­ges Bild über die­ses Land ver­mit­teln. Unser Haupt­in­ter­es­se liegt aber auch in der Kul­tur und der Ge­schich­te die­ser Re­gi­on. Uns ist be­wusst, dass der Irak kein klas­si­sches Ur­laubs­land ist. Auch wenn wir uns erst daran ge­wöh­nen müs­sen, so ge­hö­ren die all­ge­mei­ne Mi­li­tär­prä­senz und die vie­len Check Points der Si­cher­heits­kräf­te für die Ira­ker zum All­tags­bild ihres Lan­des. Für uns sind die Si­cher­heits­über­prü­fun­gen an den Kon­troll­pos­ten auf den Ne­ben­stre­cken immer wie­der sehr zeit­rau­bend. Al­ler­dings dient die­ses Pro­ce­de­re auch un­se­rer Si­cher­heit. Die Städ­te wir­ken auf uns sehr ge­schäf­tig, stau­big und sti­ckig. Von der Zer­stö­rung der letz­ten Krie­ge ist wenig zu sehen und Vie­les wurde schnell, wenn auch etwas pro­vi­so­risch, wie­der auf­ge­baut.

Auf den Spuren der kulturhistorischen Highlights

Zwi­schen Eu­phrat und Ti­gris konn­ten sich vor über 6000 Jah­ren u.a. im Ver­gleich zu Eu­ro­pa sehr früh­zei­tig Hoch­kul­tu­ren ent­wi­ckeln, da die Ara­bi­sche Halb­in­sel nach der letz­ten Eis­zeit als erste Land­re­gi­on lange vor den nörd­li­chen Re­gio­nen der Erde vom Eis frei­ge­ge­ben wurde. Wäh­rend un­se­rer 10-tä­gi­gen über 1800 Ki­lo­me­ter lan­gen Rund­rei­se durch den Süd- und Zen­tra­l­irak haben wir viele Ge­le­gen­hei­ten ge­habt, die­ses ein­ma­li­ge kul­tu­rel­le Erbe ken­nen­zu­ler­nen.

Von Al Bas­rah im Süden des Lan­des kom­mend er­rei­chen wir Al Ourma, der Ort, wo Eu­phrat und Ti­gris zum Shatt al Arab zu­sam­men­flie­ßen. Der Shatt al Arab endet im Per­si­schen Golf und ist der Grenz­fluss zwi­schen Iran und Irak. In Al Qurma soll ein­mal der Gar­ten Eden ge­we­sen sein. Und tat­säch­lich weist in einem klei­nen Park ein Schild auf "Adam's Tree" hin. Hier wur­den nach bi­bli­scher Er­zäh­lung also Adam und Eva aus dem Pa­ra­dies ver­trie­ben.

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Schilfinsel im Marschland
Schilfinsel im Marschland

Unser nächs­tes Ziel ist das Marsch­land, ein 10.000 km² gro­ßes Sumpf­ge­biet zwi­schen Eu­phrat und Ti­gris – heute ein Schutz­ge­biet für viele Vögel und Fi­sche. Die Re­gi­on wird nach der Schnee­schmel­ze in den nörd­li­chen Ge­birgs­re­gio­nen im Früh­jahr über­flu­tet und der Boden mit frucht­ba­ren Se­di­men­ten über­zo­gen. Durch Ka­nä­le, Dämme und klei­ne In­seln konn­ten die so­ge­nann­ten Marsch­land-Ara­ber das Land be­wohn­bar und land­wirt­schaft­lich nutz­bar ma­chen. Wie vor 6000 Jah­ren zur Zeit der su­me­ri­schen Hoch­kul­tur leben die Men­schen zu­sam­men mit ihren Tie­ren in sog. Schilfhäu­sern - den Sa­rifa. Als Fort­be­we­gungs­mit­tel durch die Schilf­land­schaft wer­den aus­schließ­lich Boote ge­nutzt. Am frü­hen Mor­gen nimmt uns ein Fi­scher mit und zeigt uns diese fan­tas­ti­sche Re­gi­on, die es viel­leicht bald nicht mehr geben wird, da Eu­phrat und Ti­gris durch Stau­däm­me in der Tür­kei und in­ten­si­ve Be­wäs­se­rung immer we­ni­ger Was­ser füh­ren.

Unter Sad­dam Hus­sein (Prä­si­dent von 1979 bis 2003) wurde 1985 mit der Ent­wäs­se­rung des Marsch­lan­des be­gon­nen. Die Re­gi­on wurde durch Dei­che tro­cken­ge­legt und die bei­den gro­ßen Flüs­se konn­ten nicht mehr über die Ufer tre­ten. Damit woll­te er einen bes­se­ren und schnel­le­ren Zu­gang für die ira­ki­sche Armee zu den Kampf­ge­bie­ten in Rich­tung Iran er­rei­chen. Nach dem Sturz Sad­dams hat man das Marsch­land re­na­tu­riert, die Dei­che ein­ge­ris­sen und Men­schen wie­der an­ge­sie­delt. Es brauch­te ei­ni­ge Zeit, bis sich die Be­woh­ner wie­der mit der tra­di­tio­nel­len Le­bens­wei­se ver­traut ge­macht haben. 2016 wurde das Marsch­land zum World He­ri­ta­ge er­klärt.

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Ziel vie­ler schii­ti­scher Pil­ger, die wir schon an der tür­kisch/ira­ni­schen Gren­ze ge­se­hen haben, ist der hei­li­ge Wall­fahrts­ort Ker­ba­la, um an der Arba’in-Ze­re­mo­nie teil­zu­neh­men. Hier ist 680 n Chr. Imam Hos­sein, Enkel des gro­ßen Pro­phe­ten Mo­ham­med, in einer Schlacht ge­tö­tet wor­den. Die Pil­ger kom­men mit Bus­sen oder Autos an­ge­reist; manch­mal auch zu Fuß und tra­gen dabei eine Flag­ge mit dem Bild vom Iman Hos­sein. Für die 21 Mil­lio­nen Pil­ger in 2022 wer­den auf den Rou­ten nach Ker­ba­la und in der Stadt selbst un­zäh­li­ge Lo­gis­tik­punk­te für die Ver­pfle­gung und Un­ter­brin­gung ein­ge­rich­tet. Der hei­li­ge Be­zirk mit der Mo­schee und dem Grab des Iman Hos­sein ist aber auch ein po­ten­zi­el­les Ziel ter­ro­ris­ti­scher An­schlä­ge und wird des­halb lü­cken­los von Si­cher­heits­kräf­ten über­wacht.

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Ankommen in Bagdad

Am Tahirplatz
Am Tahirplatz

In der Me­tro­po­le Bag­dad an­ge­kom­men, geht es erst ein­mal in das kürz­lich nach einer um­fas­sen­den Mo­der­ni­sie­rung wie­der­er­öff­ne­te Na­tio­nal­mu­se­um. Auch wenn im Krieg viele Kul­tur­gü­ter il­le­gal außer Lan­des ge­bracht wur­den, gibt es hier noch sehr viel zu sehen. Für uns ist es ein Schnell­durch­lauf durch die Ge­schich­te des Al­ter­tums bis zum Be­ginn der is­la­mi­schen Zeit (6000 vor Chr. bis 600 nach Chr.). In der Stadt ver­zich­ten wir auf das Auto, weil wir zu Fuß und mit Mo­tor­rikschas viel schnel­ler vor­an­kom­men.

Wir sind fas­zi­niert von ei­ni­gen Stra­ßen­zü­gen in der Alt­stadt mit wun­der­schö­nen Häu­ser­fas­sa­den, die al­ler­dings drin­gend re­stau­riert wer­den müss­ten. Der Bahn­hof und die erste Stra­ße in Bag­dad wur­den zu un­se­rem Er­stau­nen von Deut­schen ge­baut. Wir schlen­dern durch enge Gas­sen mit vie­len Ge­schäf­ten und über quir­li­ge Märk­te, be­su­chen eine ar­me­ni­sche Kir­che und Mo­sche­en. Heute er­in­nert hier nichts mehr an die Zeit von Sad­dam Hus­sein. Der Platz, wo die rie­si­ge Sta­tue des Dik­ta­tors nie­der­ge­ris­sen wurde, ist heute eine Ver­kehrs­in­sel. Den gut be­wach­ten grü­nen Re­gie­rungs­be­zirk, wo die letz­ten po­li­ti­schen Un­ru­hen und ge­walt­tä­ti­gen Aus­schrei­tun­gen statt­ge­fun­den haben, sehen wir nur von Wei­ten.

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Sehnsuchtsziel Babylon

Eingangstor in Babylon
Eingangstor in Babylon

Keine an­de­re Stadt dient mehr als Pro­jek­ti­ons­flä­che für mensch­li­che Sehn­süch­te als Ba­by­lon. Im Al­ter­tum war Ba­by­lon eine Stadt mit über 200.000 Ein­woh­nern, deren Struk­tu­ren ein ur­ba­nes und nach den Über­lie­fe­run­gen auch ein las­ter­haf­tes Leben mög­lich mach­ten. Die ei­gent­li­che Blü­te­zeit Ba­by­lons lag zwi­schen 1800 und 140 v Chr. Viele Han­dels­we­ge kreuz­ten die Stadt und mach­ten sie zu einem wirt­schaft­li­chen, kul­tu­rel­len und wis­sen­schaft­li­chen Zen­trum. In Am­pho­ren ver­bor­ge­ne klei­ne Ta­feln mit Tex­ten in Keil­schrift gaben den Ar­chäo­lo­gen sehr ge­naue Hin­wei­se über die da­ma­li­ge Le­bens­wei­se der Ein­woh­ner. Be­reits vor meh­re­ren tau­send Jah­ren kann­ten Wis­sen­schaft­ler in Ba­by­lon geo­me­tri­sche Prin­zi­pi­en, wie die Ein­tei­lun­gen eines Krei­ses in 360 Grad oder der Stun­de in 60 Mi­nu­ten. Wir be­su­chen das rie­si­ge Rui­nen­feld von Ba­by­lon mit dem Tem­pel zu Ehren des Got­tes Mar­duk, die Pro­zes­si­ons­stra­ße und das Isch­tar-Tor, des­sen obe­rer Teil im Per­ga­mon­mu­se­um in Ber­lin steht. Von einem Ar­chäo­lo­gen er­fah­ren wir von den Ge­schich­ten der Hän­gen­den Gär­ten sowie dem Turm zu Babel und ste­hen ehr­fürch­tig in dem Raum, wo Alex­an­der der Große ge­stor­ben ist. Lei­der wur­den auch in Ba­by­lon wäh­rend des Irak-Krie­ges viele Kul­tur­gü­ter ge­stoh­len.

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Um sich mit den Kö­ni­gen von Ba­by­lon auf eine Stufe zu stel­len, hat sich Has­sam Hos­sein di­rekt neben der Rui­nen­stadt Ba­by­lon einen rie­si­gen Pa­last vol­ler Luxus und Prunk bauen las­sen. Nach dem Sturz des Dik­ta­tors im Jahre 2003 wurde der Pa­last von der Be­völ­ke­rung ge­stürmt und alles von Wert ge­plün­dert. Mit etwas Über­re­dungs­kunst wer­den uns vom Wach­per­so­nal die obe­ren, ei­gent­lich nicht zu­gäng­li­chen Stock­wer­ke des Pa­las­tes für eine Be­sich­ti­gung auf­ge­schlos­sen.

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Antike Städte Uruk und Ur am Euphrat

Zikkurat von Uruk
Zikkurat von Uruk

Im Al­ter­tum lag die Stadt Uruk di­rekt am Eu­phrat und war vom 5. Jahr­tau­send v. Chr. bis zum 3. Jhdt. n.​Chr. be­sie­delt. Der Mit­tel­punkt der Stadt ist von den zwei Kult­zen­tren der bei­den Haupt­göt­ter ge­prägt. Der Anu-Tem­pel und der Tem­pel­turm (Zik­ku­rat) waren der Haupt­kul­t­ort des Him­mels­got­tes An, wäh­rend der Ean­na-Be­zirk das Haupt­hei­lig­tum der Göt­tin In­an­na/Isch­tar bil­de­te. Wei­te­re An­la­gen, dar­un­ter auch der sog. Stein­stift­tem­pel - ein Bau, des­sen Wände mit geo­me­tri­schen Mo­sai­ken de­ko­riert sind - Holz­bal­ken von zwölf Me­tern Länge, Reste von Groß­skulp­tu­ren und Re­li­efs, Tier­fi­gu­ren, auf­wen­dig ge­stal­te­te Stein­ge­fä­ße und Roll­sie­gel wur­den hier ge­fun­den. Nicht zu­letzt ent­deck­te man in Uruk die äl­tes­ten Schrift­stü­cke mit Keil­schrift auf Stein­plat­ten. Es ent­wi­ckel­te sich eine Me­ga­ci­ty, die erst um 600 v. Chr. von Ba­by­lon in ihrer Größe über­trof­fen wurde. Um die Aus­gra­bungs­stät­ten zu schüt­zen, braucht man für die Be­sich­ti­gung von Uruk aber eine Son­der­ge­neh­mi­gung und wird auf dem rie­si­gen Ge­län­de von einem be­waff­ne­ten Si­cher­heits­be­am­ten be­glei­tet. Das ist auch not­wen­dig, weil über­all noch an­ti­ke Scher­ben lie­gen, die sonst schnell Lieb­ha­ber fin­den könn­ten. Ar­chäo­lo­gen schät­zen, dass bis­her nur ca. 10% der alten Kul­tur­gü­ter im Irak aus­ge­gra­ben wur­den.

Die nächs­te ar­chäo­lo­gi­sche Stät­te ent­lang un­se­rer Route ist die Stadt Ur mit den Res­ten einer Stu­fen­py­ra­mi­de, eine so­ge­nann­te Zik­ku­rat. In Ur ste­hen neben die­ser Py­ra­mi­de die Über­res­te meh­re­rer alter Tem­pel und Wohn­häu­ser. Teil­wei­se wur­den die Ge­bäu­de von den Ira­kern be­reits re­stau­riert. Bei Aus­gra­bun­gen wurde auch ein rei­cher Schatz an Lehm­tä­fel­chen ge­fun­den, die Steu­er­quit­tun­gen und wei­te­ren Schrift­ver­kehr ent­hiel­ten. So gab die Ent­zif­fe­rung die­ser Zeug­nis­se viele Ge­heim­nis­se der an­ti­ken su­me­ri­schen Kul­tur und des All­tags­le­bens preis. Auch Kö­nigs­grä­ber wur­den hier aus­ge­gra­ben.

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Auf Wiedersehen Irak

Wir ver­las­sen das Land mit vie­len neuen per­sön­li­chen Ein­drü­cken, die weder ein Mu­se­um noch eine me­dia­le Do­ku­men­ta­ti­on in die­ser Weise ver­mit­teln könn­te. Für uns steht fest, dass der Kul­tur­tou­ris­mus im Irak ein gro­ßes Ent­wick­lungs­po­ten­zi­al hat, vor­aus­ge­setzt die po­li­ti­sche Lage bleibt in der Zu­kunft halb­wegs sta­bil.

Auf un­se­rer 1.800 Ki­lo­me­ter lan­gen Rund­rei­se haben wir uns in dem Land keine Se­kun­de un­si­cher ge­fühlt. Die Of­fen­heit, Gast­freund­schaft und Hilfs­be­reit­schaft der Ira­ker sind ein­fach über­wäl­ti­gend. Die Freu­de dar­über, dass man das Land be­sucht und der Irak von der üb­ri­gen Welt­ge­mein­schaft nicht ver­ges­sen wird, be­geg­net uns immer wie­der. Po­si­tiv über­rascht sind wir, dass es fast flä­chen­de­ckend In­ter­net gibt, die Au­to­bah­nen gut aus­ge­baut sind und wir uns in gro­ßen Städ­ten über Geld­au­to­ma­ten mit US-Dol­lar ver­sor­gen kön­nen. Das All­tags­le­ben er­scheint uns ent­ge­gen un­se­ren Er­war­tun­gen auch in Bezug auf die Rech­te von Frau­en sehr li­be­ral zu sein. Bis auf we­ni­ge Aus­nah­men haben wir im Irak aus Si­cher­heits­grün­den auf frei­es Cam­pen ver­zich­tet. Bei Au­ßen­tem­pe­ra­tu­ren von über 40 Grad war in den Städ­ten ein Ho­tel­zim­mer mit Kli­ma­an­la­ge oh­ne­hin eine gute Wahl. Al­ler­dings soll­te man die ei­ge­nen An­sprü­che an Ho­tel­stan­dards etwas zu­rück­schrau­ben. Wie auch in an­de­ren ver­gleich­ba­ren Län­dern üb­lich, sind wir mit un­se­rem Auto nicht bei Dun­kel­heit un­ter­wegs ge­we­sen.

Nach den vie­len Aus­schrei­tun­gen und er­bit­ter­ten Macht­kämp­fen im letz­ten Jahr wurde Ende Ok­to­ber 2022 mit der Wahl von Al-Su­da­ni zum Prä­si­den­ten ein wich­ti­ger Schritt zu mehr Sta­bi­li­tät im Irak ge­macht. Es ist sein Ziel, die Wirt­schaft zu stär­ken sowie die Armut und Ar­beits­lo­sig­keit zu be­kämp­fen. Wir hof­fen, dass es ihm ge­lingt, denn wir haben viele junge, en­ga­gier­te Leute ge­trof­fen, die das Land wie­der auf­bau­en wol­len. Im­mer­hin sind 80% der Be­völ­ke­rung unter 30 Jahre alt. Lei­der haben uns aber auch gut aus­ge­bil­de­te Aka­de­mi­ker ge­sagt, dass sie nicht an eine Zu­kunft des Lan­des glau­ben und schnellst­mög­lich das Land ver­las­sen möch­ten.

Mit die­sem Be­richt wol­len wir alle Fern­rei­sen­den mit dem ei­ge­nen Fahr­zeug auf dem Weg auf die Ara­bi­sche Halb­in­sel er­mu­ti­gen, den Irak nicht nur für den schnel­len Tran­sit zu durch­que­ren. Die herz­li­chen Men­schen und die Kul­tur­schät­ze des Lan­des haben uns ab­so­lut fas­zi­niert und wir wer­den mit Si­cher­heit wie­der­kom­men!

Streetart mit Friedensbotschaft, Bagdad
Streetart mit Friedensbotschaft, Bagdad