Mobil-Menü

Post für den Pamir (Juli 2006)

» Bildergalerie aufrufen

Seit Monaten fahren wir jetzt schon mit der Post, den Fotos, besprochenen Kassetten und gemalten Kinderbildern der vor über 20 Jahren in die Türkei geflüchteten Pamir-Kirgisen durch Zentralasien (siehe Ulupamir-Bericht, April 2006). Nun endlich ist der Zeitpunkt gekommen, wo wir diese Post persönlich abgeben wollen. Mental und physisch haben wir uns für die nächsten drei Wochen auf Strapazen in einer der entlegendsten Regionen der Welt – dem Wakhan-Korridor – eingestellt, doch an einigen Stellen stoßen wir und das Auto an unsere Grenzen.

Wo liegt der Wakhan-Korridor? Der Wakhan-Korridor im Nordosten Afghanistans, so wie er heute existiert, ist das Resultat des sogenannten „Great Game“, das vor über 100 Jahren hier zwischen den damaligen Supermächten Russland und Großbritannien um die Vormachtstellung in Zentralasien ausgetragen wurde. Das Ganze endete in einer Grenzziehung, die dafür sorgte, dass die beiden Rivalen keinen gemeinsamen Grenzverlauf besaßen. Ein Puffer, der sogenannte Wakhan-Korridor zwischen Hindukush, Pamir und Karakorum entstand. Dieser Korridor ist nahezu 300 km lang und an der schmalsten Stelle nur 20 km breit.


Bild: Wasser überall

Wir wollen mit unserer kleinen Wakhan-Expedition am Grenzübergang Ishkashim am südlichen Zipfel der GBAO-Region starten und werden sogleich in unserem Tatendrang gedämpft. Ein Tor versperrt den Zugang zur erst kürzlich fertiggestellten Brücke über den Panj-Fluß. Drei Stunden (!) Mittagspause zwingen uns zum Warten. Endlich um 16 Uhr kommen die Grenzpolizisten beider Seiten mit ihren Fahrzeugen aus den nahegelegenen Dörfern. Man trifft sich auf der Mitte der Brücke und bespricht „unseren Fall“. Wahrscheinlich sind wir die ersten ausländischen Touristen, die hier mit ihrem eigenen Auto auftauchen. Das weitere Prozedere erinnert dann sehr an einen Agentenaustausch im kalten Krieg und der aufkommende Sandsturm verleiht der Szene etwas Mystisches und verschafft uns ein außerplanmäßiges Hautpeeling. Obwohl gegen unsere Grundsätze, kommen wir um die Zahlung von 20 USD Schmiergeld an die tadschikischen Zöllner nicht herum. Für Verhandlungen fehlt uns heute die Zeit, da der Übergang bereits um 17 Uhr wieder schließt. Wer will schon die Nacht im Niemandsland zwischen Tadschikistan und Afghanistan verbringen.

» Bildergalerie aufrufen


Bild: Grenzübergang

So schaffen wir es an diesem Tag gerade noch bis in eines der nächsten Dörfer, wo wir von der Dorfgemeinschaft sehr herzlich aufgenommen werden und unser Camp aufschlagen können. In Kürze ist die gesamte männliche Dorfgemeinschaft versammelt und beobachtet mit einer schier unbeschreiblichen Ausdauer unser Treiben. Von Privatsphäre keine Spur mehr.


Bild: Campbesuch

Weiter geht es über einen sehr schlechten Jeeptreck fast 100 Kilometer durch das Tal des Panj-Flusses. Während wir in unserem Auto kräftig durchgeschüttelt werden, blicken wir neidvoll auf die relativ gute Schotterstraße auf der tadschikischen Seite des Flusses. Abwechselnd fahren wir durch kleine Siedlungen, wo die Einwohner zur Zeit ihre Felder bestellen, durch Flüsse, Geröllfelder und über Flugsanddünen. Besonders tückisch sind die scharfkantigen Bewässerungsgräben in den vielen Siedlungen, die meist unabgedeckt von der rechten zur linken Seite der Piste gegraben werden. Unsere Stoßdämpfer werden hier auf eine harte Probe gestellt und zwingen uns permanent zum Bremsen und Neuanfahren.

Im unteren Wakhan-Tal leben die Whaki (Ismaeliten) quasi als Selbstversorger vom Ertrag ihrer Felder, der sehr spärlich ist und zusätzlich ausländische Nahrungsmittelhilfe erfordert. Die Aga Khan Foundation ist hier sehr aktiv und leistet auch in verschiedenen anderen Infrastrukturprojekten eine sehr gute Arbeit. Überall sieht man provisorische Schulen für Jungen und Mädchen in Zelten und auch den einen oder anderen Schulneubau.

» Bildergalerie aufrufen


Bild: Wakhis


Bild: Landwirtschaft im Wakhan

Mit dem Roadpermit der afghanischen Botschaft in Dushanbe öffnen sich für uns problemlos die Schlagbäume der Kontrollpunkte, bis wir den Eingang des oberen Wakhan-Tals bei Kala-e Panja erreichen. Hier will man uns ohne Sondergenehmigung vom Gouverneur in Ishkashim nicht durchlassen. Ein zäher Gesprächs- und Verhandlungsmarathon beginnt. Viele Funksprüche zum Hauptquartier und auch unsere Anrufe bei der afghanischen Botschaft in Dushanbe über Satellitentelefon helfen nicht weiter. Erst als der englische Arzt Dr. Alex Duncan in seinem völlig ramponierten Toyota Pickup am Checkpoint auftaucht, wendet sich das Blatt zu unseren Gunsten. Er spricht fließend Wakhi und wir können endlich klar machen, dass wir als „Postboten“ für den Pamir unterwegs sind. Alex hat uns später gesagt, dass er nicht geglaubt hätte, dass man uns passieren lässt. Der Kommandeur verabschiedet uns noch mit dem Hinweis, dass im oberen Wakhan-Tal die ISAF aktiv sei, um Taliban aufzuspüren.

Alex lädt uns spontan in sein Haus ein, wo er zusammen mit seiner Frau, vier kleinen Kindern, Christel, einer Ärztin aus Holland und dem Kindermädchen Helen „in the middle of nowhere“ lebt. Wir begreifen sehr schnell, wie wichtig seine Arbeit hier ist. Die medizinische Versorgung in dieser Region ist gleich Null. Bis auf Alex und Christel gibt es keine Ärzte, geschweige denn eine Krankenstation für die immerhin fast 10.000 Bewohner dieser Region. Opium ist immer noch eines der größten Probleme und 40% der Bevölkerung sind abhängig. Für viele Menschen ist Opium die einzige Hilfe gegen Hunger, Schmerz und Kälte. So erfahren wir auch, dass fast alle Einwohner mit TBC infiziert sind. Kinder kommen mit durchschnittlich 2000 Gramm zur Welt und 30 Prozent sterben in den ersten fünf Lebensjahren. Viele der Gesundheitsprobleme sind auf die unzureichende Ernährung zurückzuführen. Alex und sein Team leisten hier Außerordentliches. Wir wünschen ihm, dass er möglichst bald einen neuen, verlässlichen Geländewagen erhält und die seit drei Monaten überfällige Medikamentenlieferung bald eintrifft. Ausgestattet mit vielen nützlichen Tipps von Alex setzen wir unsere Fahrt in das obere Wakhan-Tal fort.


Bild: Oberes Wakhan-Tal 1


Bild: Oberes Wakhan-Tal 2

» Bildergalerie aufrufen

Und jetzt wird es echt spannend. Die Piste ist teils überspült und das Tal eine einzige Sumpflandschaft. Uns wird sofort klar, dass jetzt ein Wettlauf mit der Schneeschmelze beginnt, um in zwei Wochen wieder sicher aus dem Tal zu kommen. In Sarhad-e Wakhan ist nach 190 Kilometern für unser Auto erst einmal Endstation. Hier treffen wir auch die dänischen ISAF Soldaten, die (sehr zu unserer Erleichterung) keine Taliban jagen, sondern als sogenanntes Reconstruction-Team die Schulsituation erkunden. Wir verbringen mit den Soldaten eine Nacht in einem Schulneubau, der seit zwei Jahren leer steht. Dieses Haus ist ein typisches Projekt sinnloser Entwicklungshilfe, weil man die lokale Bevölkerung nicht in die Planungen einbezogen hat. Die Kinder gehen viel lieber weiterhin in die einige Kilometer entfernte Zeltschule, da sie an der richtigen Stelle steht. Das kann auch eine von der ISAF einberufene Konferenz mit den Dorfältesten nicht ändern.


Bild: ISAF

Mit Unterstützung der ISAF Dolmetscher können wir einen sicheren Unterstellplatz für unser Auto finden und zwei Lastesel für unsere Ausrüstung/Nahrungsmittel anmieten, um unsere Postzustellung „zu Fuß“ in den Pamir fortzusetzen. Vier Tage geht es nun in einem ewigen Auf und Ab zwischen 3200 und 4200 Meter entlang des inzwischen sehr schroffen und engen Wakhan-Tals. Unzählige, zum Teil sehr reißende Nebenflüsse sind zu queren, was Andreas bei einem Sturz in das eiskalte Wasser zwei dicke Hämatome einbringt. Unterwegs treffen wir hier einige Yak- und Pferdekarawanen und man sollte lieber nicht fragen, was die Tiere in ihren vielen Säcken geladen haben.

Bild: Trekking-Team Bild: Yakkarawane

» Bildergalerie aufrufen


Bild: Windiges Camp

Am vierten Trekkingtag öffnet sich plötzlich die Landschaft zu einem weiten und grandiosen Hochplateau auf 4000 Höhenmetern. Das Gebiet der Pamir-Kirgisen ist erreicht und wir können unsere Post in der ersten Jurten-Siedlung abgeben. Die Freude über die Nachrichten von den Familienangehörigen aus der entfernten Türkei ist sehr groß.

Bild: Yurten Bild: Pamir-Kirgisen

» Bildergalerie aufrufen


Bild: Postübergabe

Wegen des zunehmenden Schmelzwassers machen wir uns inzwischen einige Sorgen und wollen lieber gleich am nächsten Tag den Rückweg antreten. Nach weiteren vier Trekking-Tagen finden wir unser Auto wohlbehalten vor und starten sofort zur Rückfahrt. Der Wakhan-Fluss hat inzwischen bis zu 50 cm mehr Wasser als bei der Hinfahrt. Eine Erkundung des inzwischen völlig überspülten Weges sagt uns, dass wir hier nicht mehr weiterkommen.


Bild: Hinweg

12
Bild: Rückweg versperrt Bild: Feuchte Erkundung

» Bildergalerie aufrufen

Diese Stelle müssen wir sehr kompliziert umfahren und können mit Unterstützung der Dorfbewohner einen Erdrutsch überqueren. „Inshallah“, ist das Schlagwort des Tages und die Passage auf weichem Sand im Steilhang des reißenden Flusses mit einem 3,5 Tonnen schweren Auto echt gefährlich.


Bild: Umleitung

Im unteren Wakhan-Tal hat sich die Situation inzwischen auch erheblich verschlechtert. Zum Glück begleitet uns ein UN Toyota, der gerade einen Patienten mit einer Nierenkolik nach Ishkashim bringt. Mehrmals haben wir uns gegenseitig geholfen, da wir bei den Flussumfahrungen entweder im Schlamm oder im weichen Sand stecken bleiben.


Bild: Festgefahren

Überglücklich und mit einigen Beulen am Auto erreichen wir Ishkashim, wo wir nach einer Übernachtung und einigen Einkäufen im Bazar wieder über die Grenze nach Tadschikistan fahren. Den ursprünglichen Plan, direkt über Faizabad nach Kunduz zu queren, haben wir inzwischen aufgegeben. Wir wollen dieses unübersichtliche Gebiet mit weiteren 20 Stunden extrem schlechter Straße nicht während der Opiumernte queren. Auch wollen wir uns in Tadschikistan einige Tage Erholung gönnen, um von Dushanbe aus erneut in Richtung Afghanistan zu starten.