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Auf den Spuren der Wikinger (Juli 2007)

Wir haben einen Umweg von fast 3000 Kilometern durch Kasachstan auf uns genommen, um dort entlang der ehemaligen Karawanenwege der Seidenstraße zu fahren und nun sollte es eigentlich über Russland ganz ruhig und ohne weitere „Kultur-Highlights“ nach Hause gehen. Doch nach einigen Hinweisen und eigenen Recherchen stehen plötzlich die Wikinger im Zentrum unseres Interesses, die vom Baltikum und Russland aus vor über 1000 Jahren die zahlreichen Flüsse für den Warentransport nutzten und lebhaften Handel mit den damaligen Zentren an der Seidenstraße betrieben. Wikinger auf dem Gebiet des heutigen Russland - das erscheint uns fast nicht vorstellbar und so wollen wir dem nachgehen und immer dem Lauf der Wolga stromaufwärts folgen. Wir steigen dafür jedoch nicht auf eines der vielen Wolga-Passagierschiffe um, sondern kämpfen uns mit unserem Auto durch oft sehr schlammige und feuchte Wälder, um immer wieder traumhafte Camps an der Wolga zu erreichen. Da bleibt es nicht aus, das sich die eine oder andere Grasnarbe am Auto verewigt und Andreas betont dann immer wieder, dass wir nur dank unserer „Mud Terrain-Reifen“ hier durchkommen.

Bild: Passagierschiff Bild: Feuchte Wege
Bild: Nach dem Schlamassel Bild: Wolgacamp

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Die Wikinger waren schwedische Kriegerkaufleute, die im 9. Jh. die russischen Ebenen stürmten, um das Land politisch und wirtschaftlich zu erobern. Sie errangen das Monopol über die Nutzung der 3700 Kilometer langen Wolga und des Dnjeprs und hatten somit Zugang über das Schwarze Meer bis nach Byzanz (heute Istanbul) und über das Kaspische Meer und weiter über den Landweg bis nach Bagdad. Für uns ist die Route entlang der Wolga interessant, da die Wikinger vom Norden her über den Lagodasee kommend den zentralen Handelsstützpunkt Bulgar erreichen konnten, wo Flussrouten und Karawanenwege zusammentrafen. Hier wurde auch die begehrte Seide aus China gehandelt.

Entlang unserer Route stoßen wir nach kürzester Zeit auf Schilder, die auf die frühe Besiedlung der Wikinger in dieser Region hinweisen. Und in Staraja-Lagoda, einer wichtigen Handelsstadt in Nordrussland, die im 8. Jh. gegründet wurde, können wir noch die Überreste einer großen Festungsanlage besichtigen. Für die Wikinger war Staraja-Lagoda der erste Zwischenstop auf ihrer Reise nach Süden, wo die Waren umgeladen wurden. Ansonsten finden wir in einigen Heimatmuseen den einen oder anderen Hinweis auf die Zeit der Wikinger in Russland.

Bild: „Wikinger willkommen“ Bild: Wikinger
 
Bild: Staraja-Lagoda

 

Immer wieder klingen uns die Worte unserer Freunde in den Ohren: „Wollt ihr wirklich über Russland zurückfahren ?“ Und es schwingen Gedanken an Schmiergelder, Autoschieberei, schlechten Straßen und der Mafia bei diesen Bedenken mit.
Und wie sieht Russland nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ vor über 15 Jahren heute aus? Wir erleben Russland als ein sehr selbstbewusstes und stolzes Land, das keineswegs den sogenannten „Zug der Moderne“ verpasst hat und in den Städten müssen sich die Geschäfte schon lange nicht mehr hinter dem Westen verstecken. Die Menschen sind immer sehr freundlich zu uns, egal ob in zivil oder in Uniform.

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Bild: Modernes Russland 1 Bild: Modernes Russland 2

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Doch wir finden auch noch das ursprüngliche Russland, entlang des „Goldenes Ringes“, nordöstlich von Moskau mit den typischen alten Holzhäusern, Kirchen und Kreml (Festungen). Dort, wo die Menschen ihr Obst und Gemüse an der Straße verkaufen und wo man zum Baden und Angeln an die Wolgastrände fährt.

Bild: Straßenverkauf Bild: Souvenirs
Bild: Wolgastrand Bild: Dorfidylle

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Da die Russen um den Wert des Kulturgutes Goldener Ring wissen, wurden viele Städte aufwendig restauriert. In Kazan, der ältesten Tatarenstadt Russlands, sehen wir schon von Weitem die Kul Sharif Moschee mit den hellblauen Kuppeln, die weißen Stadtmauern des Kreml, die russisch-orthodoxe Kathedrale und den roten Turm. Ein Besuch dieser Stadt an der Wolga ist genauso ein Muss für uns, wie der verträumte Ort Makarevo mit dem Kloster Makariev. Um dort hin zu kommen, müssen wir die Fähre an das andere Wolgaufer nehmen. Es ist Freitag und genau diese Region ist auch für die Einheimischen ein beliebtes Ziel zum Picknicken, Sonnen, Campen und so ist es entlang der Wolgastrände schon etwas voller, zudem ein Anglerwettbewerb stattfindet, Kinderzeltlager aufgeschlagen werden und neureiche Russen mit ihren brandneuen Motorbooten anrücken. Immer wieder kommen die Leute bei uns vorbei und stellen endlos viele Fragen zu unserer Reise, zum Auto usw. Wir werden nicht müde, ihnen alles zu erklären und zum Schluss verewigen sich die Kinder aus dem nahegelegenen Zeltlager dann auch noch ganz stolz in unserem Gästebuch.
Wir erleben hier in Russland laufend sehr nette Gesten der Gastfreundschaft. Beispielhaft seien hier die Waisenkinder zu nennen, die uns ihre einzigen selbstgefangenen Wolgafische geben wollen oder der Autofahrer, der uns an einer roten Ampel eine Musik-CD schenkt. Einfach nur so !


Bild: Kazan 1


Bild: Kazan 2


Bild: Makarevo


Bild: Gästebuch

Wir verlassen die Wolga und folgen der Hauptstraße M8 nach Vologda. Dort interessiert uns die Afghanistanhalle, wo Fotos der russischen Gefallenen und deren Briefe während des letzten Afghanistan-Krieges ausgestellt sind. Wieder sind unsere Gedanken mehr denn je bei Afghanistan und uns wird erneut noch einmal bewusst, dass Kriege immer nur Verlierer haben. Wie schnell Heldentum verblassen kann, sehen wir an der Lokalität dieser Gedenkausstellung, die sich im ersten Stock einer nicht sehr einladenden Bierhalle befindet.


Bild: Verlierer in Afghanistan

Wir sind nach 2000 überraschend angenehmen Kilometern durch Russland in St. Petersburg angekommen, wo uns vorrangig die vielen Kunstschätze der Seidenstraße in der Hermitage, dem ehemaligen Winterpalast Peter des Großen, interessieren. Die Hermitage beherbergt heute als Nationalmuseum die weltweit größte Kunstsammlung.
Diverse russische Expeditionen haben seit dem Beginn des 20. Jh. kistenweise wertvolle Kunstschätze aus Zentralasien und China (insbesondere Dunhuang) hierher gebracht. Doch die Enttäuschung ist für uns mehr als groß, denn man hat hier nur einen ganz kleinen Teil der Statuen und Wandmalereien ausgestellt. Von den weltweit ältesten gedruckten Büchern aus der geheimen Bibliothek in Dunhuang ist gar nichts zu sehen. Die meisten Exponate. liegen im Keller und sind nicht zu besichtigen. Wir sind etwas verärgert, da uns Ähnliches im Londoner Museum auch schon passiert ist. Uns stellt sich die Frage, warum man diese Kunstschätze nicht an China zurückgibt, wenn sie ohnehin nicht ausgestellt werden. Die Zeiten der Kulturrevolution in China, die einen besonderen Schutz dieser Kulturgüter gerechtfertigt haben, sind schließlich schon lange vorbei.

Bild: St. Petersburg Bild: Hermitage
Bild: Exponate 1 Bild: Exponate 2

Gerne denken wir an die Tage in Russland zurück, wo man sich so frei und ungestört bewegen konnte. Entgegen den Empfehlungen von anderen Reisenden, haben wir nicht ein einziges Mal auf den sogenannten TIR-Stationen (LKW-Rastplätze) übernachtet, da wir immer wesentlich schönere Plätze in der Natur gefunden haben und die Abende am offenen Grillfeuer genießen konnten.


Bild: Lagerfeuerromantik

Mit dem Grenzübertritt von Russland nach Estland sind wir zurück in der sogenannten Zivilisation der Europäischen Union. Nach einer problemlosen Ausreise auf der russischen Seite ist bei uns die Verwunderung sehr groß, als man uns wegen unserer internationalen Zulassung für das Auto nicht einreisen lassen will. Obwohl wir mit diesen Papieren schon seit 17 Monaten reisen und diverse Grenzen passiert haben, will man uns wieder abschieben. Erst die nationalen Fahrzeugpapiere beschwichtigen die Grenzbeamten und man lässt uns in die EU einreisen. Unsere Freude, wieder im heimischen Europa angekommen zu sein, ist sehr schnell verflogen und die übergenaue Fahrzeugkontrolle tut ihr übriges. Was für eine Begrüßung ? Siehe dazu auch den Beitrag in unserer Rubrik „Pleiten, Pech und Pannen“ zum Thema handgeschriebene Dokumente.
Bevor wir am 11. August in Berlin ankommen, werden wir einige Tage in Estland verbringen und anschließend in Tallinn auf die Fähre nach Rostock rollen. Nach dieser erlebnisreichen Zeit ist es notwendig, sich behutsam dem „alten Leben“ zu nähern. Dennoch soll hier kein falscher Eindruck entstehen. Wir freuen uns sehr auf die Ankunft bei unseren Familien, Freunden und Arbeitskollegen.


Bild: Angekommen in Europa

 

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