Odyssee im Kaukasus
Juni 2014
Unser nächstes Ziel ist der Kaukasus. Aber es sollte mal wieder nicht wie geplant laufen, denn uns erwarten sinnflutartigen Unwetter, ein dramatischer Erdrutsch, der den Grenzübergang von Russland nach Georgien versperrt hat, eine Ausreise über Dagestan eine Stunde vor Ablauf des russischen Visums und eine Einreise nach Aserbaidschan ohne gültiges Visum. Ein bürokratischer Hindernislauf durch die Ausländerbehörden in Aserbaidschan endet dann nach 17 Tagen mit der Ausweisung aus dem Land. Aber alles der Reihe nach!
Ende Mai verlassen wir Wolgograd und fahren durch die Kalmückische Steppe Richtung Kaukasus. Im Jahr 2012 waren wir schon einmal in der autonomen Republik Kalmückien im südlichsten Teil des europäischen Russlands. Eine trockene Steppe, wo sich im 13. Jh. verschiedene mongolische Stämme, die über die Seidenstraße hierher kamen, angesiedelt haben. Die Menschen, die sich hier niederließen haben aber auch ihre Sprache, Kultur und Religion mitgebracht. Und so findet man heute in Kalmückien noch die westlichste Ausbreitung des Buddhismus.
Wir wollen vor der Hitze Südrusslands möglichst schnell in die hohen Berge des Westkaukasus entfliehen. Schon von Weitem sehen wir das Unwetter, das schon seit Tagen im Kaukasus tobt und dazu geführt hat, dass Flüsse extrem über die Ufer getreten sind, Felder und Wege unter Wasser stehen und einige Straßen wegen Unterspülung gesperrt sind. So ist auch unser wunderschönes Camp von 2012 am Kuban-Fluss den Fluten zum Opfer gefallen und wir müssen in der Dunkelheit ein „Notcamp“ aufschlagen. Das bedeutet, dass wir etwas beengt im Toyota schlafen, weil wir wegen schlechten Wetters oder aus Sicherheitsgründen unser Dachzelt nicht aufklappen können. Heute ist so ein Abend. Es ist schon spät, das Camp von 2012 ist überflutet und starker Sturm und Regen machen den Aufbau unseres Dachzeltes unmöglich. Wir müssen an der Hauptstraße hinter Bäumen versteckt übernachten und sind dabei für die vielen Mücken ein gefundenes Fressen. Mückenspray ist bei diesen Biesten nicht wirklich wirksam, so dass Ute am nächsten Tag 37 Stiche an nur einem Knöchel zählt.
Am nächsten Morgen stellt sich endlich die ersehnte Wetterbesserung ein und wir fahren Richtung Kaukasus. Vom Kaspischen bis zum Schwarzen Meer erstreckt sich der über 1800 Kilometer lange Kaukasus, dessen Kamm die Grenze zwischen Europa uns Asien bildet. 230 Berge des Kaukasus sind über 4000 Meter hoch, 7 sogar über 5000 Meter, einschließlich des Elbrus mit 5642 Metern. Die subtropische Vegetation reicht hier fast bis an die Gletscher, was sicher einzigartig in Europa ist. Hier leben 21 Mio. Menschen unterschiedlichster ethnischer Herkunft und Religion, deren Zusammenleben seit vielen Jahrhunderten nicht immer friedlich war. Als Puffergebiet zwischen den Großreichen Persien, Russland und dem osmanischen Reich gelegen, war der Kaukasus ständig einer Fremdbestimmung unterworfen, deren Auswirkungen immer noch Ursache vieler politischer Auseinandersetzungen ist. Heute gilt das Hauptinteresse dem Gas und Öl sowie der Absicherung von militärischen Stützpunkten.
Als erstes Ziel erreichen wir Dombay, ein kleiner Ort für Wintersportler und Bergsteiger im russischen Westkaukasus. Leider liegt Dombay sehr dicht an der Grenze zu Abchasien, eine Region, die 2008 im russisch-georgischen Krieg von den Russen besetzt wurde. Diese Grenze ist bis heute nicht von Georgien akzeptiert worden und so stoßen wir sehr häufig auf Soldaten, die uns nicht weiter passieren lassen. Wanderungen enden oft am Checkpoint und ohne Sondergenehmigung kommt man hier nicht weiter.
Unsere nächste Station ist die Nordseite des Elbrus Nationalparks, den wir über eine 70 Kilometer lange Schotter- und Sandpiste erreichen. Für uns ist diese Route entlang eines Bergrückens auf ca. 2300 Meter sicher eine der schönsten, die wir jemals gefahren sind. Zwei Tage lang haben wir einen ständigen Blick auf die schneebedeckten Berge des Kaukasushauptkamms mit dem höchsten Berg Europas – dem Elbrus (5642 Meter). Außer einigen Hirten mit ihren Tieren treffen wir keinen Menschen und andere Fahrzeuge schon gar nicht.
Auch wenn es uns schwerfällt diesen schönen Fleck Erde zu verlassen, so wollen wir doch weiter zum Elbrus Basislager fahren, um von dort aus in den Bergen zu wandern. Das Basislager ist nicht sehr einladend, obwohl es hier eine heiße Thermalquelle und mehrere spektakuläre Wasserfälle gibt. Wir beschließen zum Basislager I aufzubrechen, das man noch mit einem Geländewagen erreichen kann. Von hier aus gehen wir dann mit Tagesgepäck weiter Richtung Basislager II. Im 2. Weltkrieg war die Region am Elbrus heiß umkämpft. Das militärische Flugfeld in 2900 Meter Höhe ist heute noch deutlich zu erkennen und es wehte im September 1942 sogar die Flagge von Nazi-Deutschland auf dem Elbrus. Wir hatten von einer unglaublichen Geschichte gehört, der wir leider auch vor Ort nicht weiter nachgehen können. Auf dieses Flugfeld soll von den Nazis eine Gruppe von Lamas aus Tibet einflogen worden sein, damit sie am „Zukunftsberg“ Kalizkayj- in 3781 Meter Höhe den Ausgang des zweiten Weltkrieges vorhersagen sollten. Sie prognostizierten die Niederlage Deutschlands und sollen auf der Stelle erschossen worden sein.
Als Toyota-Fahrer ist eine weitere Geschichte für uns vor Interesse, denn 2008 hat man einen Landrover für Werbezwecke bis unterhalb des Gipfels gezogen. Hochfahren war nicht möglich! „War ja auch kein Toyo“.
Die nächsten Tage schmeißen unsere Reisepläne erst einmal über den Haufen. Von Russland aus soll unsere Tour über Georgien nach Aserbaidschan und weiter in den Iran gehen. Wir wollen über den seit 2012 für ausländische Touristen geöffneten Militärhighway am Kreuzpass den Kaukasus von Russland nach Georgien überqueren. Unser russisches Visum ist leider etwas zu knapp bemessen und wir haben für unsere Ausreise nur noch zwei Tage Zeit. Es ist purer Zufall, als wir aus den Bergen zurück in die „online-Zivilisation“ kommen und per E-Mail von unseren Buschtaxi-Freunden Sabine und Bernd erfahren, dass die Grenze zwischen Russland und Georgien wegen eines Erdrutsches am Kazbegi geschlossen ist.
Eine Million Tonnen Schlamm und Geröll sind nach einem leichten Erdstoß und starken Regenfällen abgerutscht, so dass die gesamte Passstraße verschüttet wurde. Der einzige „offizielle“ Grenzübergang zwischen Russland und Georgien ist somit gesperrt und unsere Visa für Russland laufen am nächsten Tag aus. Wir stehen in Vladikavkaz, eine Stadt 40 km vor dieser Grenze und teilen das Schicksal mit vielen LKW-Fahrern und Autoreisenden aus angrenzenden Ländern, denn die Ausräumarbeiten werden noch Wochen andauern. Nun ist guter Rat teuer.
Am nächsten Tag suchen wir die Ausländerbehörde OVIR in Vladikavkaz auf, um evtl. eine Verlängerung der Visa zu erreichen. Aber Touristenvisa können in Russland nicht verlängert werden. Da wird auch wegen einer Naturkatastrophe keine Ausnahme gemacht. Uns bleibt nur die Ausreise aus Russland oder das Visum ablaufen zu lassen, um dann einen Richter entscheiden zu lassen, ob wir ein Transitvisum oder eine Ausweisung inkl. Strafzahlung mit 5-jährigem Einreiseverbot für Russland zu bekommen. Auch die deutsche Botschaft in Moskau kann uns nicht wirklich weiterhelfen und macht uns nur auf unsere rechtlichen Möglichkeiten aufmerksam. Wir entscheiden uns für die schnelle Ausreise aus Russland bei Samur am Kaspischen Meer und die Einreise nach Aserbaidschan. Doch die Sache hat noch einen Haken, denn unser Visum für Aserbaidschan beginnt erst am 11. Juni. Wir haben jetzt genau noch 12 Stunden bis unsere Visa in Russland ablaufen und vor uns liegen 460 Kilometer durch die nördlichen Kaukasusregionen Inguschetien, Tschetschenien und Dagestan, die im Reiseführer wie folgt beschrieben werden: „Hier fährt man als Tourist eigentlich nicht hin, denn diese Regionen sind so gefährlich wie der Irak und Afghanistan zusammen."
Aber was bleibt uns? Unweigerlich haben wir die Fernsehbilder des Tschetschenienkrieges vor unseren Augen. An den vielen Verkehrskontrollen und scharfen Einreisekontrollen in die Republiken Inguschetien, Tschetschenien und Dagestan und Städten wie z. B. Grosny verlieren wir Zeit, die wir eigentlich nicht haben. An jedem Kontrollposten ist auch schwer bewaffnetes Militär anwesend, was nicht gerade ein angenehmes Gefühl ist. In Dagestan sind die Polizisten sehr korrupt und fordern mit vorgeschobenen Begründungen Bares. Einmal müssen wir allerdings zahlen, da wir zwei Meter über eine durchgezogene Linie gefahren sind, um einen an der Seite geparkten Lada zu umfahren. Das Auto wurde bewusst dort abgestellt, um später abkassieren zu können. Diese ewigen Kontrollen und Checkpoints kosten uns extrem viele Nerven und Zeit.
Um 21:08 Uhr erreichen wir die Grenze bei Samur und stehen erst einmal in einer langen Schlage vor einem verschlossenen Tor. Doch das Tor geht bald auf und wir erleben eine Abfertigung wie man sie noch aus der ehemaligen DDR kennt. Die Leute vor uns müssen ihre Sachen aus dem Auto ausräumen. Es wird alles durchleuchtet, Drogenhunde kommen und auf einer Rampe schaut der Beamte sich das Auto dann auch von unten an und klopft mit einem Hammer das Blech ab. Uns blüht Ähnliches, auch wenn wir nicht alles ausräumen müssen. Andreas muss nur die Wasserkanister und die Kühlbox ausbauen. Die Plane des Dachzeltes wird kurz geöffnet sowie die große Dachbox durchsucht. Soweit so gut. Aber da ist ja noch unser Problem mit dem Zollpapier für unser Auto, das uns in Weißrussland ausgestellt wurde. Die Computer in Weißrussland sind noch nicht kompatibel mit den Rechnern an den russischen Grenzen. Was nutzt da die Zollunion, wenn die Technik noch nicht so weit ist. Uns fehlt der russische Barcode auf dem Zolldokument, mit dem unsere Fahrzeugdaten am Computer ausgelesen werden können. Der Beamte muss alle Daten neu eintippen, was ihn zu einem Wutausbruch bringt. Um 23:00 Uhr sind die Zollpapiere endlich fertig, das Visum ausgestempelt, die Pässe kontrolliert und das Auto durchsucht. Eine Stunde vor Ablauf unserer Visa. Wir sind also ordnungsgemäß und rechtzeitig aus Russland ausgereist.
Spannend bleibt jetzt der nächste Schritt, nämlich die Einreise nach Aserbaidschan ohne gültiges Visum. Wird man uns zurückschicken oder müssen wir im Niemandsland campieren. Auf der aserbaidschanischen Seite stehen wir erst einmal bis 2:00 Uhr morgens bevor überhaupt etwas passiert. Auch hier müssen die Leute wieder die Autos komplett ausräumen und alle Taschen in einer Halle scannen lassen. Was blüht uns wohl? Aber diesmal haben wir Glück. Das Auto wird nicht weiter kontrolliert. Um 3:30 Uhr kommt Andras endlich zurück. Er hat schon die Autoversicherung (50 USD) und die Straßenbenutzungssteuer (40 USD) bezahlt. Was das Visum angeht, gibt es allerdings Probleme, die von den Grenzbeamten der Frühschicht gelöst werden sollen. Und so verbringen wir den Rest der Nacht im Niemandsland. Wieder ein Notcamp! Am nächsten Morgen ist die Frühschicht mit der Entscheidung der Nachtschicht gar nicht zufrieden und stellt uns vor die Wahl, ohne Visum wieder nach Russland zurück zu fahren oder sechs Tage – also bis zum 11. Juni - auf dem Parkplatz im Niemandsland zu bleiben. Wir entscheiden uns für Letzteres und gehen zu unserem „Grenzcamp“ zurück. Als wir dann die Campinghocker und den Tisch vor unser Auto stellen, Tee kochen und erst einmal frühstücken, wird den Beamten die Sache doch zu mulmig und nach weiteren zwei Stunden fällt der Chef der Grenzpolizei die Entscheidung, uns vorzeitig nach Aserbaidschan einreisen zu lassen. So sind sie das Problem mit den beiden Deutschen wenigsten los.
14 Stunden Grenzabfertigung ohne gültiges Visum für Aserbaidschan liegen hinter uns. Wir haben kein Einreiseverbot für Russland bekommen, da wir noch rechtzeitig das Land verlassen haben. Was für ein Stress!
Vor uns liegen jetzt 19 Tage Aserbaidschan, die aber nicht ohne bürokratische Hürden sein sollen. Aber wir wollen auch ein für uns ganz neues Land entdecken. Aserbaidschan, das ist das „Land des Feuers“ mit der Hauptstadt Baku, wo vor zwei Jahren der Eurovision Song Contests stattfand. Das Land ist seit 1991 unabhängig von Russland und wird seit 2003 von dem Präsidenten Ilham Aliyev regiert. Riesige Poster des vorherigen Präsidenten und Vaters von Ilham Aliyev begegnen uns auf Schritt und Tritt. Hier wird ein Personenkult gepflegt, wie wir ihn nur aus Turkmenistan kennen. Völlig unverständlich wirken auf uns die vielen Olympiazentren im ganzen Land, die man für die Olympiade 2016 bereits vor der eigentlichen Vergabeentscheidung fertiggestellt hatte. Aserbaidschan hat nie den Zuschlag für diese Olympischen Spiele bekommen und heute stehen die Sportstätten leer und werden nicht wirklich genutzt.
Aserbaidschan ist durch das Öl und Gas reich geworden und diejenigen, die vom Ölgeschäft profitieren, heben sich in ihrem oft arroganten Verhalten sehr deutlich von dem Rest der Bevölkerung ab. Der Unterschied zwischen den reichen Menschen in Baku und der Landbevölkerung ist extrem groß und das betrifft nicht nur die gefahrenen Automarken. Überhaupt wirken die Menschen auf uns oft emotionslos ohne jedes Lachen. Ihre Herzlichkeit zeigt sich erst, wenn wir auf sie zugehen, was wir aus islamisch geprägten Ländern so nicht kennen. Doch eines verbindet sie alle und das ist die „Armenophobie“, der Hass auf die Armenier, die nach dem Bürgerkrieg Anfang der neunziger Jahre die Region Bergkarabach bis heute noch besetzen. Ausländer, die einen Stempel von Bergkarabach im Pass haben, dürfen nicht nach Aserbaidschan einreisen und im Internet werden vom Außenministerium sogar Listen mit Bildern von Personen veröffentlicht, die schon einmal in Bergkarabach waren und wie an einem „Online-Pranger“ dort zur unerwünschten Person erklärt werden. Was für eine Verunglimpfung! Ja, wir merken schnell, dass man in diesem Land nicht wirklich an Touristen interessiert ist und die unverhältnismäßig teuren Preise für Unterkünfte schrecken Reisende ja auch eher ab.
Es gibt in Aserbaidschan aber auch sehr viel Interessantes zu entdecken. Da sind die alten Städte und Ruinen an der Seidenstraße und die bis zu 5000 Jahre alten Dörfer im Kaukasus. Täler und Schluchten, die wir mit unserem Geländewagen kaum erreichen können. Petroglyphen und Schlammvulkane sowie ein Dorf, in dem einst deutsche Siedler lebten. Das Land der Wüsten, Steppen und schneebedeckten Gipfeln ist sicher sehr vielfältig aber leider für Individualreisende nicht ganz einfach zu bereisen. Das größte Hindernis aber ist die Bürokratie, unter der nicht nur wir zu leiden haben. So endet dann auch unsere Reise in Aserbaidschan nach mehreren Besuchen bei der Ausländerbehörde mit der Ausweisung aus dem Land, da wir uns nicht nach drei Tagen polizeilich registriert haben (s. auch Pleiten, Pech und Pannen).
Nach der anstrengenden Etappe durch den russischen Kaukasus und dem Grenzübertritt nach Aserbaidschan wollen wir am Kaspischen Meer erst einmal Kräfte sammeln. Auf den erhofften Badespaß müssen wir leider verzichten, weil die Strände verdreckt und durch den ständig steigenden Wasserspiegel immer schmaler geworden sind. Viele Häuser und Strandanlagen sind bereits im Meer verschwunden, wofür Wissenschaftler den Grund in tektonischen Verschiebungen am Meeresgrund sehen. Trotzdem sind hier die staatlichen Rettungsschwimmer anwesend. Für Andreas ist als ehrenamtlicher Rettungsschwimmer und Taucher der DLRG Berlin ein Besuch der örtlichen Wasserrettungsstation natürlich Ehrensache.
Nachdem uns die Durchquerung des Kaukasus über die Herrstraße wegen des Erdrutsches verwehrt war, wollen wir in Aserbaidschan einen weiteren Versuch starten, den Kaukasus von Nord nach Süd zu überqueren. Doch je höher wir fahren, umso schwieriger und steiler werden die Pisten hinauf zu den Bergpässen. Auch die ausgetrockneten Flusstäler erweisen sich als unpassierbar. Wir unternehmen drei Versuche aber eine Durchquerung ist nicht möglich. Zudem haben wir Probleme mit unserer Kupplung und der Motor wird beim Fahren in der Geländeuntersetzung immer heißer, was zur Folge hat, dass die Klimaanlage ausfällt – und das bei einer Außentemperatur von 36 Grad. Wir wollen ja mit diesem Auto noch bis nach Thailand kommen und entschließen uns frühzeitig zur Umkehr. Unser nächstes Ziel ist das 5000 Jahre alte Bergdorf Xinaling, das wir über eine asphaltierte Straße erreichen. Was für eine Wohltat, ohne das tagelange Gerüttel auf den ausgefahrenen Jeeptracks. Wieder im Tal angekommen, finden wir ein schönes Plätzchen für ein Camp am Fluss, das wir nutzen, um endlich mal unsere Wäsche zu waschen.
Unser nächstes Ziel ist Baku, um unser Auto bei Toyota Baku durchchecken zu lassen. Wir gönnen uns auch eine kleine Reisepause und besichtigen „die Stadt der Winde“ mit der interessanten Altstadt. Bei allem Glanz kann man aber auch die Schattenseite nicht übersehen, denn das Meer und auch große Landstriche sich durch die Förderung des Erdöls großflächig verseucht. Hinzu kommen noch Unmengen an Müll, die überall in der Landschaft liegen. Letzterem versucht man jetzt mit einem Abfallprogramm entgegenzuwirken. Im Vergleich hierzu haben wir in Deutschland keine wirklichen Abfallprobleme.
Baku war im 6. Jh. v. Chr. das religiöse Zentrum der Zoroastrier, wo das Feuer – und damit verbunden das Licht - im Mittelpunkt ihres Glaubens stand. Auf der Halbinsel Abseron sieht man noch viele Relikte aus dieser Zeit. Ein Feuer der besonderen Art finden wir an einem Berg, der seit vielen Jahrzehnten durch ausströmendes Erdgas brennt.
Die Seidenstraße und die Gewürzstraße gehörten zu den bedeutendsten Handelswegen, die Aserbaidschan einst mit der Welt verbanden. Sie führte von Baku entlang des Kaukasus bis ins heutige Georgien. Von dort zogen die Karawanen weiter nach Istanbul, Syrien und Ägypten. Aserbaidschan galt als wichtige Drehscheibe für den Handel zwischen Orient und Okzident.
Von Baku aus fahren wir nochmals in die Berge - in den südlichen Kaukasus, den wir bei unseren drei Durchquerungsversuchen leider nie auf den direkten Weg erreicht haben. Historische Orte der Seidenstraße, archäologische Ausgrabungsstätten und Karawansereien sind dort noch heute zu finden. Unser erstes Ziel ist das persisch geprägte Bergdorf Lahic, das wegen des Kupferhandwerks bis nach China bekannt wurde. Zu Hochzeiten der Seidenstraße im 11.-13. Jh. arbeiteten dort 200 Kupferschmiede, von denen es heute aber nur noch wenige gibt. Weiter fahren wir auf einer gut ausgebauten Straße Richtung Nordwesten und erreichen Gabala, wo gerade die sechstausend Jahre alten Ruinen einer großen Handelsstadt durch Archäologen freigelegt werden. Der Ausgrabungsleiter führt uns persönlich auf dem riesigen Areal herum und wird nicht müde unsere Fragen zu beantworten. Die vielen Skelette weisen mit ihrer Ausrichtung zur Sonne darauf hin, dass auch hier schon Zoroastrier gelebt haben. Eine Stadt mit einer riesigen, mehrmals verstärkten Stadtmauer und einem hocheffektiven Trink- und Abwassersystem sind zu erkennen. Unsere letzte Station an der ehemaligen Seidenstraße in Aserbaidschan ist die Stadt Shäki, wo einst Seide produziert wurde, nachdem das Geheimnis der Herstellung dieses edlen Stoffes aus China bekannt geworden war. Wir übernachten hier in einer zum Hotel umgebauten Karawanserei.
Wir wollen es kaum glauben. Schwaben im Kaukasus! 1819 hat es deutsche Siedler hierher verschlagen. Die wirtschaftliche Situation in Deutschland war zu dieser Zeit schlecht und so machten sich 1500 Familien auf den Weg Richtung Kaukasus. 500 von ihnen kamen an und gründeten den Ort Helenendorf. Die Straßen haben heute noch deutsche Namen und die Häuser sind im typischen deutschen Stil gebaut. Ein Stück Heimat in der Ferne. Es kamen überwiegend Handwerker und Winzer und nach 10 Jahren war Helenendorf eine angesehene Stadt, die hauptsächlich vom Weinanbau und -handel lebte. Unter Stalin wurden 1941 allerdings die meisten Einwohner deportiert. Fünf Familien durften bleiben. So auch die Familie von Viktor Klein, der 2007 hier als letzter Deutscher starb. Wir haben Glück und finden den Freund von Viktor Klein, Fiket Ismailov, der den Schlüssel von Viktor Kleins Haus hat. Stolz führt er uns durch das alte Haus mit den verstaubten Möbeln und dem riesigen Weinkeller. Bei der Besichtigung fühlen wir uns um 100 Jahre zurückversetzt. Demnächst wird das Haus als Museum umgebaut.
In Aserbaidschan gibt es aber noch eine weitere interessante Geschichte, der wir nachgehen wollen. Die Wikinger hatten 944 n. Chr. das Land für zwei Monate besetzt. Sie kamen über die Wolga, das Kaspische Meer und fuhren mit ihren Schiffen den Kür-Fluss bis ins Landesinnere hoch, um dann die damalige Hauptstadt Bärdä zu erobern. So war Aserbaidschan für zwei Monate eine Kolonie der Wikinger bis die Perser sie wieder vertrieben. Aber die Verbindung zwischen Nordeuropa und Aserbaidschan liegt noch viel weiter in der Geschichte zurück, denn in der Mythologie der Wikinger gibt es den Gott Odin, der aus Azer – und Azer nennen sich heute die Aserbaidschaner - stammt. Im Jahr 1939 fand man in der Region Gobustan am Kaspischen Meer 8000 Jahre alte Petroglyphen von Langboten, wie sie von den Wikingern verwendet wurden. Für den norwegischen Forscher Thor Heyerdahl war das ein Beweis für seine These, dass es eine Jahrtausend alte Verbindung zwischen Aserbaidschan und Norwegen gibt und der Ursprung der Wikinger wahrscheinlich in Aserbaidschan liegt. Dass die Wikinger von Russland aus einen intensiven Handel mit Mesopotamien betrieben haben, konnten wir bereits 2010 bei der Besichtigung in der Wikingerburg am Ladogasee, nördlich von St. Petersburg, sehen.
Wir unternehmen noch einen Abstecher in den Shirvan Nationalpark mit einigen tausend Gazellen und zu den Schlammvulkanen, bevor wir Aserbaidschan bei Astara in Richtung Iran verlassen wollen. Das klappt jedoch erst beim zweiten Anlauf, denn uns fehlte ja die schon oben erwähnte Registrierung. Man schickt uns in die nächste Kreisstadt Lankaran zur Ausländerbehörde, wo wir am nächsten Tag mit einer offiziellen Deportationsverfügung aus Aserbaidschan ausgewiesen werden. Immerhin kommen wir um die ursprünglich geforderte Strafzahlung wegen der verspäteten Registrierung von umgerechnet 300 € pro Person herum. Strafrechtlich ist so eine Ausweisung allerdings viel härter zu bewerten. Sogar die Grenzbeamten sind von dieser Entscheidung sehr überrascht. Wir können jetzt zwar ausreisen, dürfen aber bis Ende Juni 2015 nicht mehr nach Aserbaidschan zurückkehren.
Nach 8000 Kilometern und 30 Camps seit unserer Abreise am 1. Mai in Berlin verlassen wir Aserbaidschan mit sehr gemischten Gefühlen und freuen uns auf unseren fünften Besuch im sehr gastfreundlichen Iran. Bereits die Einreise in den Iran geht sehr schnell und die Grenzbeamten sind extrem freundlich. Wir fühlen uns wie befreit, weil sich die Atmosphäre auf der anderen Seite der Grenze schlagartig ins Positive wandelt.