Indiens unbekannter Nordosten
November 2014
Aus Nepal kommend erreichen wir Nordostindien - sieben Bundesstaaten, die nur über einen schmalen Korridor mit dem Rest von Indien verbunden sind. Bis vor kurzem war individuelles Reisen hier fast unmöglich. Uns erwarten Teeplantagen in Assam, ehemalige Kopfjäger in Nagaland, schwimmende Inseln in Manipur, Nationalparks, Festivals, hinduistische Klöster und traditionelle Stammeskulturen. Und das alles in einer unbeschreiblichen Abgeschiedenheit und Ursprünglichkeit. Die Menschen, die hier einst aus Tibet, China und Südostasien eingewandert sind, haben für eine ethnische Vielfalt und Kultur gesorgt, die uns oft vergessen lässt, dass wir in Indien sind. Aber alles der Reihe nach !
Nach der langsamen politischen Öffnung Myanmars im Jahr 2011 kann man seit dem letzten Jahr die Grenze zwischen Indien und Myanmar auch mit dem eigenen Fahrzeug überqueren. Somit ist es uns möglich, über Land von Indien aus Südostasien zu erreichen. Die sogenannten „sieben Schwesterstaaten“ in Nordostindien bestehend aus Assam, Arunachal Pradesh, Manipur, Meghalaya, Mizoram, Nagaland und Tripura sind für uns noch „weiße Flecken“ auf unserer persönlichen Reiselandkarte.
Bis vor kurzem war individuelles Reisen in Nordostindien ohne Sondergenehmigung, einem sogenannten Restricted Area Permit (RAP), nicht möglich. Nordostindien, so groß wie die alten Bundesländer, ist neben Kaschmir ein riesiger Krisenherd, der seit der Unabhängigkeit Indiens im Jahr 1947 Tausende von Toten gefordert hat aber international kaum Beachtung findet. Immer wieder gibt es Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Klans, bzw. Autonomiebestrebungen diverser ethnischer Gruppen und nicht zuletzt Probleme mit Einwanderern aus Bangladesch. All das geht oft nicht unblutig ab. Und so blieb dieser Teil Indiens für Touristen bislang eine no go-Area. Das hat zur Folge, dass man heute noch in Nordostindien wenig Individualtouristen trifft, schon gar nicht mit eigenem Fahrzeug. Auch während unserer Durchreise gibt es einige Unruhen an der innerindischen Grenze zwischen Assam und Nagaland. Wir sind froh, dass die Sicherheitsbehörden die Region nicht für Touristen gesperrt haben und wir in Richtung Myanmar weiterreisen können.
Nach einer tollen Zeit in Nepal auf dem Overlander Camping in Pokhara, einem Treffpunkt für Langzeitreisende, einer Trekkingtour im Annapurnagebiet und dem Besuch mehrerer Nationalparks im Terrai, verlassen wir Nepal an der Ostgrenze bei Mechi und fahren weiter auf dem Asia Highway 1 (AH 1) Richtung Myanmar. Die Asia Highways sind ein neues Netz von internationalen Handelsstraßen in Asien, einschließlich des europäischen Teils Russlands, bis nach Moskau. Es scheint, dass man hier schon eine erste Grundlage für die Neuausrichtung der Handelsbeziehungen Russlands in Richtung Asien geschaffen hat.
Wir hatten bzgl. der indischen Straßen schon unsere größten Befürchtungen und sind froh, auf einer neuen vierspurigen „Autobahn“ schnell vorwärts zu kommen. Vierspurig heißt, dass jeder fährt, wo es ihm gerade gefällt und dabei ist es auch noch egal in welche Richtung man fährt. Und auf der Überholspur kommt einem garantiert immer etwas entgegen: Ochsenkarren, Radfahrer oder eben Autos, LKWs oder Busse. Am Straßenrand wird zu allem Überfluss noch Heu zu einem großen Haufen gestapelt, was den Abtransport für die Bauern dann einfacher macht. Aber in diesem abgelegenen Teil Indiens sind glücklicherweise wesentlich weniger Autos als im Kernland unterwegs.
Wir erreichen Assam, das vor allem durch den gleichnamigen Tee bei uns bekannt ist. Dieser Bundesstaat wird aber auch von dem großen Brahmaputra-Strom durchzogen, der am heiligen Berg Kailash in Tibet entspringt. In der Monsunzeit tritt dieser Fluss weit über seine Ufer und verwüstet oft große Landstriche. Er hinterlässt dabei aber auch fruchtbares Land und so ist diese Ebene ein einziges großes Agrarland. Es gibt hier sehr artenreiche Nationalparks mit Nashörnern, Elefanten, Tigern und vielen Zugvögeln. Zuerst besuchen wir den Manas Nationalpark, wo uns die Park-Ranger nach langem Verhandeln sogar eine Genehmigung geben, in einer Lodge am Manas-Fluss zu übernachten. Um uns vor den wilden Tieren zu schützen muss uns aber ein Ranger mit Gewehr in unserem Auto begleiten - indisches Gesetz. Der Nationalpark liegt direkt an der Grenze zu Bhutan und es gibt sogar eine Piste bis dahin. Unser Bewacher darf uns wegen seiner Waffe nicht begleiten; aber alleine können wir problemlos nach Bhutan fahren. Der Grenzposten ist nicht besetzt und die Schranke offen. Wer kommt schon so einfach und dann noch mit dem eigenen Auto nach Bhutan. Auch wenn wir keinen Stempel im Pass haben, beschließen wir entsprechend unserer Tradition, die Landesflagge Bhutans an unsere Gardine im Auto zu heften. Immerhin haben wir diese Flagge schon seit 8 Jahren dabei, weil wir schon lange auf diese Gelegenheit gewartet haben.
Hatten wir im Manas Nationalpark nicht so viel Glück, große Tiere zu sehen, so werden wir im Kaziranga Nationalpark am Ufer des Brahmaputra-Flusses mit 2200 Nasshörnern, 2000 wilden Elefanten, 106 Tigern, wilden Büffeln, Barasinghirschen, Gibbons und unzähligen Vögeln absolut entschädigt. Vier Tage campen wir im Garten einer sehr schönen Lodge und genießen die Ausflüge in den Park auf dem Rücken eines Elefanten, zu Fuß und per Geländewagen.
Wie auch schon in den anderen Ländern versorgen wir uns auf den Märkten der Einheimischen mit lokalen Lebensmitteln und es kann dann nur das gekocht werden, was je nach Saison gerade angeboten wird. Supermärkte mit westlichem Standard haben wir schon lange nicht mehr gesehen.
Nordostindien ist mit seinen über 220 ethnischen Gruppen aber auch das Land der Festivals. Man muss nur Augen und Ohren offen halten. Irgendwo wird immer gefeiert, getanzt oder gesungen. Und dann kann man die unterschiedlichen Stämme in ihrer traditionellen Kleidung sehen. Für uns ist das Ras Mahotsav Festival auf der Flussinsel Majuli in Assam sicher ein Höhepunkt unserer Reise. Die Anreise mit dem eigenen Auto auf diese größte bewohnte Flussinsel der Welt ist allerdings nicht so ganz unkompliziert und beim Übersetzen über den Brahmaputra-Fluss werden bei uns wieder die Bilder vom Attabadsee in Nordpakistan ins Gedächtnis gerufen. Zum Glück ist die Fähre hier wesentlich stabiler und so sind wir sehr zuversichtlich die Insel heil zu erreichen. Für die Überfahrt zahlen wir 720 Rupies (ca. 1 USD). Ein Elefant mit Führer kostet immerhin noch 200 Rupies mehr.
Einmal im Jahr feiern die 60.000 Einwohner von Majuli vier Tage lang auf der für Hindus heiligen Insel das Ras Mahotsav Fest und wir haben das Glück dabei sein zu können. Jeden Abend wird mit künstlerischen Inszenierungen und Tänzen die Geschichte von Lord Krishna (als hinduistische Form des Göttlichen und achter Avartar von Vishnu) erzählt. Um das große Festzelt sind diverse Verkaufsstände aufgebaut, um die Besucher mit süßen und scharfen Leckereinen zu verwöhnen. Man bietet uns einen Platz in der ersten Reihe an und so können wir das Spektakel unmittelbar erleben.
Die Flussinsel Majuli im Brahmaputra ist nicht nur wegen des jährlichen Festivals ein absoluter Geheimtipp, sondern auch wegen der noch touristischen Unberührtheit. So bleiben wir einige Tage und erkunden die Insel zunächst einmal mit einem indischen Fahrrad ohne Gangschaltung, aber mit zerrissenem Sattel und dürftiger Bremse. Die Menschen leben hier noch ganz ursprünglich in Bambushütten, die wegen des Monsuns auf Pfählen gebaut sind. Sie sind überwiegend Selbstversorger und besitzen Hühner, Schweine, Ochsen und oft ein Stück Land, wo sie Reis und Gemüse anbauen. Zusätzlich wird noch Fischerei mit traditionellen Netzen, Reusen und Fischfallen betrieben.
Mit unserem Camp, das wir wieder einmal im Garten einer kleinen Bambus-Lodge aufstellen dürfen, bleiben wir nicht lange unentdeckt. Drei Journalistenteams aus Assam sind an uns interessiert und stehen am nächsten Tag vor unserem Auto. Für drei Fernsehsender und eine Zeitung geben wir Interviews zu unserer Reise und als wir einige Tage später die Insel verlassen, scheinen uns alle Einwohner zu kennen.
Ein weiteres Highlight auf Majuli sind die Satras. Ein Satra ist ein hinduistisches Kloster, in dem Mönche leben, die sich der Lehre von Vishnu verschrieben haben. Satras sind sehr spirituell geprägt und ein Komplex aus Tempel, Kloster, Gebetshaus und Ghats für rituelle Bäder. Außerdem werden Kunstformen wie Lyrik, Musik, Literatur, Bildhauerei und Tanz gelehrt. Eltern geben ihre Kinder im Alter von vier Jahren aus religiösen, oft aber auch aus finanziellen Gründen in ein Satra. Die Kinder und Jugendlichen gehen auch als Mönche in eine normale Schule, wohnen und arbeiten aber im Kloster. In Kamalabari besuchen wir ein Satra aus dem 17. Jahrhundert, wo die Mönche klassische Tempeltänze erlernen. Die Darbietung erinnert uns aber eher an akrobatische Zirkusübungen. Wir sind an diesem Satra interessiert, weil hier ein Filmteam von Arte-TV eine Reportage über einen vierjährigen Jungen gedreht hat, der als kleiner Mönch in das Kloster aufgenommen wurde und mittlerweile acht Jahre alt ist.
Da wir einen festen Einreisetermin nach Myanmar haben, müssen wir leider weiterreisen und die Flussinsel Majuli verlassen. Wir legen noch einen Zwischenstopp auf einer Teeplantage in Assam ein, wo wir von dem Manager eines Top-Hotels aus der Kolonialzeit sehr gastfreundlich eingeladen werden, bevor es weiter nach Nagaland geht.
Nagaland ist der nordöstlichste Bundesstaat in Indien und überwiegend bergig mit einer vielfältigen Flora. Viele rote und weiße Büsche von Weihnachtssternen, die uns daran erinnern, dass diese Pflanzen zuhause gerade überall als Topfpflanzen angeboten werden. Die Region Nagaland hat eine sehr bewegte Geschichte hinter sich, denn die aus Tibet stammenden Bewohner waren früher gefürchtete Kopfjäger. Mit der Missionierung im letzten Jahrhundert konvertierten viele Angehörige der insgesamt 16 Stämme zum Christentum. Mit dem Christentum legten die Bewohner auch ihre Naturreligionen ab und die Kopfjägerei wurde verboten. In der Region Mon an der Grenze zu Myanmar ist 1964 der letzte „offizielle Fall“ von Kopfjägerei bekannt geworden. Die Nagas glaubten, dass das Wissen und die mentale Stärke auf den eigenen Stamm übergehen, wenn man den Kopf eines Gegners als Kriegstrophäe mitbrachte.
In dem Dorf Khonoma haben die Naga ihren letzten Kampf gegen die Briten 1847 und 1879 verloren. Bei weiteren Auseinandersetzungen ging es dann um ihre Unabhängig von Indien. Ein Kampf, der bis heute nicht ausgestanden ist.
Die vielen christlichen Kirchen fallen uns extrem ins Auge, da sie immer auf Hügeln gebaut wurden und etwas überdimensioniert sind. In der Vorweihnachtszeit hängen an diesen Kirchen große Sterne und in den örtlichen Geschäften kann man etwas kitschigen Weihnachtsschmuck und künstliche Weihnachtsbäume kaufen. Inmitten von Bananenplantagen und Palmenhainen wirkt das alles sehr befremdlich auf uns. In der Hauptstadt Kohima stoßen wir immer wieder auf Armee und Polizei. Taxis und Busse werden kontrolliert aber wir werden zum Glück durchgewinkt. Das wundert uns schon, aber vielleicht wirkt ja unsere große Deutschlandplakette an der oberen Kiste sehr offiziell. Kohima war im II. Weltkrieg aber auch Schauplatz von blutigen Kämpfen. Ein großer Kriegsgräberfriedhof erinnert daran, dass hier über 2000 britische und indische Soldaten in einer Schlacht gegen die Japaner im April 1944 gefallen sind.
Im nächsten Bundesstaat Manipur nehmen die Polizeikontrollen extrem zu und auch wir werden jetzt oft angehalten. Der Grund ist das Sangai Festival mit vielen internationalen Veranstaltungen (u.a. Poloturniere, Radrennen, Bergwanderungen) und der bevorstehende Besuch des indischen Präsidenten Modi. Vor der Hauptstadt Imphal hat man schon zwei von Rebellen am Straßenrand versteckte Bomben auf unserer Route entschärfen können. Zusätzlich hat es an der Grenze zu Myanmar in der Stadt Moreh einen terroristischen Anschlag gegeben, was für einen Tag die Schließung des einzigen Übergangs zwischen Indien und Myanmar zur Folge hatte. Alle Sicherheitskräfte sind in höchster Alarmbereitschaft und an den Straßen stehen alle 10 Meter bis an die Zähne bewaffnete Soldaten. Wir hoffen, dass es ruhig bleibt und die Grenze nicht wieder geschlossen wird.
Trotz aller Sicherheitskontrollen fahren wir noch zum nahegelegenen Loktak-See mit seinen sehr interessanten schwimmenden Gärten. Ein tolles Naturschauspiel.
Mit sehr vielen neuen Eindrücken verlassen wir nach drei Wochen Nordostindien. Es bleibt nur zu hoffen, dass die historisch begründeten Konflikte in dieser Region friedlich ausgetragen werden und auch in Zukunft das Reisen in dieser Region so unbürokratisch wie bei uns bleiben wird.
An der Grenze zu Myanmar werden wir schon von den Mitarbeitern unserer Reiseagentur und einer Dame des Tourismusministeriums erwartet. Die Einreiseformalitäten sind dank der offiziellen Begleitung schnell erledigt und wir sind froh nach den langen Vorbereitungen und den vielen Genehmigungen mit unserem Auto nach Myanmar einreisen zu können.
Weihnachten steht vor der Tür und wir wünschen allen und ganz besonders unserer Familie, den Freunden und Kollegen ein besinnliches Fest und einen guten Start in das Jahr 2015.
Wir würden uns sehr über Spenden für die Kinderhilfe Afghanistan unter dem Stichwort „Silkroad“ freuen.
Kinderhilfe Afghanistan
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Kto-Nr. 132 5000
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