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Der Karakorum Highway

September 2014

Alte und neue Seidenstraße am KKH
Alte und neue Seidenstraße am KKH

Der 1284 Kilometer lange Karakorum Highway (KKH) ist sicher eine der weltweit spektakulärsten Hochgebirgsstraßen im nordwestlichen Teil Chinas und in Nordpakistan. Von 1967-1982 haben 15.000 Pakistanis und 20.000 Chinesen an diesem gemeinsamen Straßenbauprojekt gearbeitet. Der Highway beginnt in der Stadt Kashgar, geht über die hohen Pässe des Pamir und des Karakorum-Gebirges, entlang des Himalaya, durch das Tal des Indus, vorbei am 8125 Meter hohen Nanga Parbat und vielen über 7000 Meter hohen Bergen bis 100 Kilometer vor Islamabad, der Hauptstadt Pakistans. Der Grenzübergang am Khunjerab-Pass zwischen China und Nordpakistan ist Teil dieser Straße und liegt auf 4720 Meter Höhe. Für Touristen ist diese Straße inklusive dem Grenzübergang erst seit 1986 frei gegeben. Der Karakorum Highway war aber auch eine wichtige Verbindung zu Zeiten der Seidenstraße über die hohen Gebirgszüge Richtung Indien. Damals wie heute kein einfacher Weg aber absolut spektakulär.

Am 21. August reisen wir nach all den bürokratischen Schwierigkeiten, die wir bei der Beschaffung unserer chinesischen Visa in Kirgisien hatten, über den Torugart-Pass nach China ein und erreichen die tausend Jahre alte Oasenstadt Kashgar. Für uns ist es nach 12 Jahren der zweite Besuch dieser Stadt.

Einst war Kashgar ein wichtiger Kreuzungspunkt der Karawanenrouten aus allen Himmelsrichtungen. Aus dem Osten trafen hier die südlich und nördlich der Takla Makan Wüste gelegenen Handelswege aufeinander bevor sie sich in Richtung Zentralasien wieder erneut verzweigten. Nach Süden zog sich ein wichtiger Seitenarm über den Karakorum und Himalaya bis hinein in die Niederungen von Indus und Ganges. Nach Westen musste das Pamirgebirge überwunden werden und nach Norden ging es über den Torugart-Pass. Handel bestimmte das Leben in der Oase Kashgar von jeher. Als Marco Polo 1280 vom heute afghanischen Wakhan-Tal die Stadt betrat, erinnerte er sich später, dass die Bevölkerung vom Handel und Gewerbe lebte. In Kashgar sammelten die Karawanen Kräfte, kauften und verkauften Waren. Auch heute kann man das Basartreiben in Kashgar noch miterleben. So ist der Besuch des Viehmarktes am Sonntag, wo Kamele, Schafe, Rinder und Ziegen angeboten werden, für uns auch diesmal wieder ein Erlebnis. Überall wird in Garküchen gekocht und die typischen Spaghetti werden hier noch in „Handarbeit“ hergestellt. Von Kashgar aus zogen die Händler weiter in die Welt hinaus. In der Zwischenzeit wurden allerdings auf der „neuen Seidenstraße“ die baktrischen Kamele durch chinesische Lastwagen ersetzt. 

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Ins europäische Interesse rückte Kashgar in der zweiten Hälfte des 19. Jh., als Russland mit seiner Expansionspolitik in Interessenskonflikt mit Britisch-Indien kam. Bei dem sogenannten Great Game ging es damals um die Abgrenzung der Einflusssphären der beiden Länder. Schauplatz der politischen Rangelei waren die Generalkonsulate Russlands und Großbritanniens, deren Sitz in Kashgar war. 1895 einigten sich die Konfliktparteien dann den heute zu Afghanistan gehörenden Wakhan-Korridor als neutrale Pufferzone zwischen die beiden Großmächte zu schieben. Die Konsulate sind heute zu Hotels umgebaut. In den alten Gebäuden des Seman-Hotels, dem ehemaligen russischen Konsulat, können wir noch einen Hauch dieser Zeit zu spüren. Für uns ist es interessant zu erfahren, dass hier auch die berühmten Reisenden und Archäologen der Seidenstraße wie Sven Hedin, Aurel Stein, Le Coc zu Gast waren.

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Id Kah Moschee
Id Kah Moschee

Die Stadt Kashgar mit heute über 600.000 Einwohnern liegt in Xinjiang, der westlichsten Region Chinas. Xinjiang ist moslemisch geprägt und neben Kirgisien, Kasachen und Tadschiken leben hier hauptsächlich Uiguren. Durch die Autonomiebestrebungen der Uiguren gegenüber den zunehmend dominanten Han-Chinesen kommt es hier immer wieder zu Unruhen und das ist dann auch der Moment, dem westliche Medien durch eine kurze Nachricht Aufmerksamkeit schenken. So auch in diesen Sommer, wo es nach Ausschreitungen mit vielen Todesopfern und der anschließenden Ermordung des Iman der Id Kah Moschee zu massiven Sicherheitsmaßnahmen gegen die Uiguren kam. Sogar die Grenze zwischen Kirgisien und China wurde für drei Tage geschlossen. 

Im modernen Kashgar sind Fahrräder fast ausnahmslos durch Elektromotorroller ausgetauscht worden, was den Verkehr zwar leiser und umweltfreundlicher, aber nicht weniger chaotisch macht. Und immer noch allgewärtig die Mao-Statue, die vom chinesischen Militär gut bewacht wird, was wir natürlich nicht fotografieren dürfen.

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Totale Überwachung
Totale Überwachung

Um die Provinz Xinjiang zu kontrollieren, versucht China alles zu überwachen. Obwohl es in einigen Hotels WiFi gibt, heißt es noch lange nicht, dass man unbegrenzt surfen kann. Unsere Internetseite ist zum Beispiel für drei Tage gesperrt. Wahrscheinlicht hat man so lange gebraucht, um sie zu prüfen. Auf öffentlichen Straßen, Basaren und Hotels sind mehr Kameras installiert als sonst wo auf der Welt. Wir fragen uns, wer wohl die Daten alle sichtet und auswertet? Aber auch wir sind ständig unter Kontrolle und haben seit dem Grenzübertritt von Kirgisien nach China einen Begleiter, der sich „Guide“ nennt, und zu „unserer Sicherheit“ bis zur Ausreise nach Pakistan ständig an unserer Seite ist. Wir haben hierfür extra einen provisorischen Sitzplatz mit Gurt im Mittelgang unseres Toyotas eingerichtet. Immerhin hilft der Begleiter als Übersetzer bei den kaum englisch sprechenden chinesischen Beamten und ihrem bürokratischen Kontrollwahnsinn bei der Ein- und Ausreise, sowie den verschärften Straßenkontrollen. 

Chinesischer TÜV
Chinesischer TÜV

Wer in China mit einem ausländischen Fahrzeug unterwegs sein möchte, muss beim chinesischen TÜV vorstellig werden. Diese Prozedur dauert wegen der langen Wartezeiten einen ganzen Tag. In einigen Regionen werden aber auch aktuelle TÜV-Protokolle aus Deutschland anerkannt. Nachdem wir unser Warndreieck aufstellen durften, der Feuerlöscher inspiziert wurde und unser Toyota auf einer modernen, computergesteuerten Prüfstraße gecheckt wurde, erhalten wir einen temporären chinesischen Führerschein und ein chinesisches Nummernschild. Der internationale Führerschein wird in China nicht anerkannt. Nach dieser Prozedur sind wir sehr erleichtert, denn bei unserer letzten Chinareise 2007 sind wir bei dieser technischen Überprüfung wegen eines zu hohen Fahrzeuggewichts und dem daraus resultierenden zu langen Bremsweg durchgefallen und durften nach einer vollständigen Entladung des Fahrzeugs zum Glück noch einmal vorfahren. Bei dieser Reise haben wir vorgebeugt und unserem Auto schon vor der Reise eine „Schlankheitskur“ verpasst. Er bringt mit 3,3 Tonnen immerhin 400 kg weniger als 2007 auf die Waage.

Kashgar ist eine gute Gelegenheit, um Lebensmittelvorräte aufzufüllen, Wäsche zu waschen, Autoreparaturen vorzunehmen, Internetberichte zu schreiben, Kleidungsstücke nähen zu lassen und last but not least zum Friseur zu gehen. Wir wollen Letzteres ohne unseren Guide wagen und entscheiden uns nicht für den Friseur auf dem Basar, sondern für einen modernen Frisiersalon. Das Ergebnis für Andreas ist wegen der Verständigungsschwierigkeiten fast eine Vollglatze. Bei 36 Grad aber vielleicht nicht die schlechteste Wahl. 

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Wie sehr die Unterdrückung der uigurischen Minderheiten in China im täglichen Leben aussieht, erfahren wir an einer Tankstelle, wo wir unseren Kanister mit Kocherbenzin auffüllen wollen. In Xinjiang dürfen Chinesen Benzin in Kanistern oder Tanks abgefüllt erwerben. Ausländern oder ethnischen Minderheiten ist das aus Gründen der öffentlichen Sicherheit verboten. So müssen wir uns für fünf Liter Kocherbenzin eine Sondergenehmigung bei der Polizei holen, mit der uns dann an der Tankstelle das Benzin in unseren Kanister gefüllt wird. Wir erfahren auch, dass es den Minderheiten weiter untersagt ist, ein Taschenmesser und Streichhölzer in größeren Mengen bei sich zu tragen. Die Art der Verschleierung schreibt die chinesische Regierung den moslemischen Frauen ebenfalls vor. Öffentliche Plakate zeigen überall, wie das auszusehen hat. Was für eine merkwürdige Welt!

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Baustelle Karakorum Highway
Baustelle Karakorum Highway

Nach fünf Tagen geht es laut unserem chinesischen Reiseplan weiter. Mit vollem Tank, genug Kocherbenzin, Trinkwasser und Lebensmitteln starten wir zum Karakul See, dem schwarzen See, auf 3660 Meter. Schnell verlassen wir die fruchtbare Ebene bei Kashgar und schrauben uns in die Berge. Im Hintergrund erscheinen schon die Eisriesen des Pamir. Für 80 Kilometer ist der Highway allerdings noch unterbrochen, da die Chinesen hier gerade eine neue Bergstraße anlegen, um im Tal einen weiteren Stausee zur Energieerzeugung zu bauen. Die Fahrt wird zu einer absolut staubigen Angelegenheit.

Am Nachmittag erreichen wir den traumhaft gelegenen Karakul See, in dem sich der 7546 Meter hohe Muztagh Ata spiegelt. Nicht so als wir dort ankommen und unser Camp direkt neben einer Jurte aufschlagen, denn es fegt erst einmal ein Sandsturm über uns hinweg und hinterlässt überall seine knirschenden Spuren. Dafür werden wir am nächsten Tag entschädigt und können den grandiosen Blick auf diese Gebirgslandschaft genießen. 2006 hatten wir den Mutztagh Ata schon einmal vom Pamir Highway in Tadschikistan gesehen. Nun stehen wir vor diesem Bergmassiv und wollen dort natürlich wandern gehen. Aber so einfach ist das nicht. Wenn man in China keine Genehmigung hat, darf man nicht einfach in den Bergen campen. Selbst wenn der Guide mitkommt. Wir müssen also zu einem Trick greifen und lassen uns mit Motorrädern auf fast 4000 Meter fahren und gehen dann weiter bis dicht zum Gletscher des Mutztagh Ata. Von hier haben wir einen traumhaften Blick auf die vielen Gletscherzungen. Es ist zwar nur eine Tageswanderung und abends sind wir wieder bei unserem Camp. Aber so haben alle Beteiligten ihr Gesicht gewahrt und wir sind gesetzeskonform geblieben.

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Für fünf Tage bleiben wir am Karakul See bei den Kirgisen, die während der Sommermonate in einer Jurte wohnen und gerne Reisende für wenig Geld bekochen. Auch sie sind eine Minderheit und werden als Halbnomaden mit ihren Tieren von der chinesischen Regierung geduldet. Unser Guide hätte es viel lieber gesehen, dass wir in einem schäbigen chinesischen Hotel absteigen, als bei der netten kirgisischen Familie. Das Essen unserer Gastgeber ist allerdings denkbar einfach. So gibt es zum Frühstück salzigen Tee mit frisch gemolkener Yakmilch und dazu frisches Brot. Das Brot wird in einer Schale mit brennendem Yak-Dung gebacken, denn anderer Brennstoff ist in dieser Höhe nicht zu bekommen. Abends gibt es abwechselnd selbstgemachte Nudeln mit Gemüse oder Reis mit Gemüse. Alle essen dann aus einer Schale und manchmal greift die Mutter ins Essen, um verklebte Eierreste zu trennen und dann wird mit der gleichen Hand der getrocknete Yak-Dung in den Ofen nachgelegt. Der Hunger ist aber größer als die Vernunft und die erwartete Magen-Darmverstimmung bleibt glücklicherweise aus.

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Über den Karakorum Highway geht es weiter nach Tashkurgan, unserer letzten Station in China. Tashkurgan selbst ist eine triste chinesische Kleinstadt, wo überwiegend Tadschiken leben. Auffallend ist die riesige Kaserne mit mehr als 8000 Soldaten, die die sehr unübersichtliche Grenze zu Pakistan, Tadschikistan und Afghanistan bewachen müssen. Direkt an der Straße nach Pakistan ist auch ein neuer Grenzübergang nach Tadschikistan angelegt, der aber im Moment nur für Chinesen und Tadschiken geöffnet ist. Unser Guide meint, dass dieser Übergang in den nächsten Jahren auch für Touristen geöffnet wird. Mal sehen. Tashkurgan bedeutet „Eiserne Stadt“ und war ein wichtiger Handelspunkt der Seidenstraße. Heute kann man nur noch die Ruinen einer großen Festungsanlage besuchen. Faszinierend ist das riesige Hochtal auf 3100 Metern mit seinen grünen Weiden und unzähligen Jurten. Ptolemäus erwähnte hier schon 150 v. Chr. einen steinernen Turm. An diesen Ort kamen die Karawanen von Osten aus Afghanistan über den Wakhan-Korridor und von Norden aus Kashgar. Dieser Ort bot Wasser und Gras für die Tiere. Also optimal, damit die Karawanen hier Rast machen konnten. Für uns ist es interessant zu erfahren, dass in der Altstadt von Tashkurgan vielen Szenen des Films „Drachenläufer“ gedreht wurden, der eine traurige Geschichte in Afghanistan erzählt.

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Tashkurgan ist auch der Ort, wo wir uns von unserem Guide verabschieden müssen. Wir dürfen tatsächlich die letzten 125 Kilometer bis zur chinesisch-pakistanischen Grenze ohne Begleitung fahren. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Erst einmal werden vier Stunden lang die Zoll- und Ausreiseformalitäten in Tashkurgan erledigt und dann müssen wir im Konvoi mit allen Taxis, Kleinbussen und LKWs zum Khunjerab-Pass, zur offiziellen Grenze, fahren. Zum Abschied werden wir von einem Grenzpolizisten noch belehrt, dass wir unterwegs nicht anhalten, kein fremdes Gepäck und schon gar keine Leute mitnehmen dürfen. Gesagt, abgenickt und missachtet, denn die letzten Kilometer des Karakorum Highways sind zu schön, um keine Fotos zu machen. Der Ausreisezirkus mündet zum Schluss noch in einer Marketingaktion, indem vor allen Autos ein Banner mit der chinesischen Aufschrift „Guter Service ist unsere Herausforderung“. Na, herzlichen Glückwunsch! Der Fahrzeug-Konvoi löst sich schon kurz nach der Abfahrt in Tashkurgan auf, da jeder Gas gibt, um als Erster an der Grenze anzukommen So können wir ziemlich unbeobachtet die Möglichkeit nutzen, das Wakhan-Tal zu fotografieren, das hier am Karakorum Highway endet und ein wichtiger Pass für die Karawanen aus Afghanistan nach China war. Wir waren 2006 für zwei Wochen zum Trekking im Wakhan-Korridor und haben noch gute Erinnerungen an diese Zeit. Nach China konnten wir damals allerdings nicht kommen (siehe auch „Post für den Pamir“ unter den Reiseberichten 2006).

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Chinesisch-pakistanische Grenze
Chinesisch-pakistanische Grenze

Langsam überwinden wir die fast 1700 Höhenmeter durch ein breites grünes Tal, dass kurz vor dem Khungerab-Pass auf 4720 Metern in sehr steilen Serpentinen mündet. Am höchsten Grenzübergang der Welt werfen die chinesischen Beamten nur noch einen kurzen Blick in unsere Pässe. Das war’s in China. Jetzt liegen „nur noch“ knapp 900 Kilometer Gebirgsstraße bis nach Islamabad vor uns. 

Wir haben China zum dritten Mal mit dem eigenen Auto besucht, obwohl es ist immer ein riesiger Bürokratieaufwand ist und unser Reisebudget sehr belastet. Trotzdem hat es sich gelohnt, denn die einzigartige Natur am Karakul See, die Wanderung am Muztagh Ata sowie der Besuch der Städte Kashgar und Tashkurgan, die wichtige Knotenpunkte der Seidenstraße waren, haben uns absolut begeistert. Was uns dieses Mal aber sehr negativ aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass Chinesen uns falsche und unvollständige Infos geben und sich nicht an Absprachen halten. Eine Frage wird nur dann vollständig beantwortet, wenn sie genehm ist. Ansonsten antwortet man einfach etwas, was wir nicht hören wollen und was uns nicht weiterhilft. Fragt man dann noch einmal nach, lügt man mit dem typisch chinesischen Lächeln. Leider haben auch schon viele Nicht-Chinesen in dieser Region diese uns so fremde Mentalität der Chinesen angenommen.

Die Abfertigung auf der pakistanischen Seite des Khungerab-Pass ist schnell und unkompliziert, wobei die offizielle Einreise und Zollkontrolle erst im 85 Kilometer entfernten Sost stattfindet. Aber auch dort sind wir nach 20 Minuten mit der Einreise und den Zollformalitäten fertig. Die Beamten sprechen gut Englisch und sind absolut freundlich. Wie angenehm nach den so steifen, ewig grinsenden Chinesen. Hatten wir eben noch auf der chinesischen Seite des Karakorum Highway breite Täler, so ist es auf der pakistanischen Seite das absolute Gegenteil. Serpentinen, steile Straßen, schroffe Felsen und schmale, schattige Schluchten liegen vor uns. Einzig die Straße ist neu. Wir erinnern uns noch an die schlechten Schotterwege als wir 2006 hier waren.

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Familienbesuch
Familienbesuch

Unser erstes Ziel ist die Ortschaft Passu im oberen Hunzatal. Dort besuchen wir unseren Freund Ahmed, der dort das Glacier Breeze, ein kleines Restaurant mit Campmöglichkeit betreibt. Die Freude über das Wiedersehen ist riesig, obwohl seine Situation aufgrund der ausbleibenden Touristen nicht gerade rosig ist. Die Gründe dafür liegen in der allgemeinen politisch angespannten Situation seit dem 11. September 2001 in Pakistan, dem versperrten südlichen Zugang nach Passu durch den Attabad-Stausee sowie der terroristischen Anschläge im Basecamp des Nanga Parbat, wo im letzten Jahr 10 westliche Bergsteiger umgebracht wurden. So sind wir dann auch die einzigen Gäste und er hat sehr viel Zeit für uns. Stolz stellt er uns seine Ehefrau und seinen 7 Monate alten Sohn vor. In seinem Haus feiern wir das Wiedersehen nach unserem letzten Besuch im Jahre 2006 und zeigen dabei auch die alten Fotos auf unserem Laptop. 

Wegen des schlechten Wetters müssen wir uns diesmal auf kurze Wanderungen beschränken und können leider auch die beiden Gletscher nicht erreichen. Vier Tage Dauerregen schlagen uns langsam aufs Gemüt und die Nachrichten über die dramatischen Überschwemmungen durch den Monsun in Kaschmir und im Flachland von Pakistan tun ihr übriges. Zunächst heißt es für uns „Abwarten und (Milch-) Tee“ trinken.

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Wir nutzen den ersten trockenen Tag, um uns die Situation am Attabad-Stausee anzuschauen. 2010 gab es im oberen Hunzu-Tal einen Erdrutsch, der den Hunza-Fluss bis Gulmit angestaut hat. Viele Siedlungen sind in dem See verschwunden und 13 Menschen haben damals ihr Leben verloren. Der Karakorum Highway ist an dieser Stelle komplett in dem See verschwunden und liegt heute 30 Meter unter der Wasseroberfläche. Die Menschen im oberen Hunza-Tal sind zwischen dem Stausee auf der einen und der chinesischen Grenze auf der anderen Seite quasi eingeschlossen. Die wenigen Güter, die zur Zeit noch transportiert werden, müssen vom Lastwagen in Boote umgeladen werden. Wir haben keine andere Wahl als unseren Toyota auf diese wackeligen Holzboote zu verladen. Die Fährleute wissen, dass wir eine schlechte Verhandlungsposition haben und verlangen einen astronomischen Preis von umgerechnet 300 USD. Nach einer heftigen Verhandlungsrunde einigen wir uns auf 180 USD für zwei große Boote, die mit quer gelegten Holzplanken zu einer Fähre zusammengebunden werden. Immerhin soll unser 3,3 Tonnen schweres Auto sicher über den 10 Kilometer langen See transportiert werden - mit den vorderen Rädern auf dem einen und mit den hinteren Rädern auf dem anderen Boot. Das Problem ist, dass es keine Anlegestelle gibt und das steile Ufer durch den Regen schlammig ist. Andreas muss unser Auto dann auch noch rückwärts auf die rutschigen Planken balancieren. Eine echte Herausforderung, wenn alle Anweisungen geben und er eigentlich fast blind auf diese Behelfsfähre fährt. Einmal muss er nachsetzen weil der hintere Reifen nur zur Hälfte auf der Holzplanke steht. Dann werden Steine vor und hinter die Reifen gelegt, ein Soldat mit Maschinengewehr zu unserer Sicherheit mitgenommen und los geht die abenteuerliche Überfahrt. Da es diverse Geschichten gibt, dass Autos gerade beim An- und Abladen abgerutscht sind, packen wir unsere Wertsachen samt Computer aus dem Auto in einen wasserdichten Sack. So können wir im schlimmsten Fall wenigstens noch von Islamabad aus nach Hause fliegen. Was für ein mulmiges Gefühl vor dem Hintergrund, dass unser Hab und Gut für ein Jahr in diesem Auto ist. Die Fahrt über den türkisblauen Attabad See ist sicher ein landschaftlich tolles Erlebnis, wenn man mal von den vielen überfluteten Siedlungen, die nach Ablassen großer Wassermengen wieder zum Vorschein gekommen sind, absieht. Die Menschen haben alles verloren und wir sorgen uns „nur“ um unser Auto … Beim Anlanden können wir glücklicherweise vorwärts von unsere „Fähre“ fahren. Geschafft, aber ganz schön geschwitzt! Ende 2015 soll die neue Straße oberhalb des Attabad Sees fertig sein und dann sind solche Abenteuer nur noch Geschichte.

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Unser nächstes Ziel ist das Eagle’s Nest in Karimabad, wo wir erst einmal mit dem mitgebrachten chinesischen Bier, in einem sonst nahezu alkoholfreien Pakistan, anstoßen. Hier können auch unser Dachzelt und die feuchten Schlafsäcke in der Sonne trocknen. Wir genießen derweil den Ausblick ins Hunza-Tal und auf die über 7000 Meter hohen Berge. Das Hunza-Tal ist ein schmales Tal, deren Hänge zu Terrassen angelegt wurden. Pappeln und Feuerdorn wurden zur Befestigung des Bodens gepflanzt. Der Hunza-Fluss hat sich tief ins Tal gefressen. Ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem sorgt auf den steilen Hängen dafür, dass nicht nur fruchtbarer Schlamm auf den steinigen Boden kommt, sondern auch, dass hier Aprikosen, Kirschen, Äpfel, Walnüsse, Birnen, Kürbisse, Gemüse und Getreide wachsen. Für die Einheimischen ist die Bewirtschaftung ihrer Felder harte Handarbeit. Nebenbei halten sich die Menschen Ziegen, Schafe und Kühe. Die Hilfsorganisation des Aga Khan ist hier in dieser überwiegend von Ismaeliten besiedelten Region mit diversen Hilfsprojekten sehr erfolgreich.

Karimabad war das ehemalige Zentrum von Hunza mit dem spektakulär auf einem Felsen gelegenen Baltit Fort. Von hier aus regierten über 750 Jahre bis 1947 die Mir von Hunza. Haupteinnahmequelle war bis in das Mittelalter hinein das Ausrauben von Karawanen und der Verkauf von Gefangenen als Sklaven. Mit Fertigstellung des Karakorum Highways 1982 wurde diese abgelegene Region in Nordpakistan an die Zivilisation angeschlossen.

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Gerne würden wir noch bleiben, aber wir haben dem „Netzmeister“ Alexander Wohlfarth von der weltweit größten Internetplattform für Toyota Geländewagen versprochen, uns rechtzeitig zum Buschtaxitreffen (BTT) 2014 in Deutschland live über Skype von der Seidenstraße zu melden und der Toyota-Gemeinde von unseren Reiseerlebnissen zu berichten. Dafür brauchen wir aber eine gute Internetverbindung, die wir hier oben in den Bergen leider nicht haben. Der Karakorum Highway ist nach den starken Regenfällen wieder frei und wir machen uns auf nach Islamabad. Doch es soll nicht so schnell wie gedacht vorwärts gehen, da immer wieder kleine und große Hindernisse den Weg versperren. Außerdem ist man um die Sicherheit der wenigen ausländischen Touristen sehr besorgt, so dass wir an unendlich vielen Checkpost aussteigen müssen und unsere Pass-und Visadaten registriert werden. Diese Kontrollen gelten aber nur für Ausländer. Taxis oder Busse können diese Kontrollpunkte passieren. Was ist das für eine Sicherheit, wenn wir deshalb viel Zeit verlieren und im Dunkeln in Islamabad ankommen, wo es im Moment diverse Ausschreitungen und Demonstrationen zwischen den politischen Parteien gibt. In der Region Kohistan bekommen wir dann zu unserem Schutz noch eine Militäreskorte. Allerdings kann der Militärjeep kaum mit unserer Geschwindigkeit mithalten. Wir haben es schließlich eilig! Nach einer 15-stündigen Fahrt und einer nächtlichen Schlammlawine 40 Kilometer vor dem Ziel kommen wir erschöpft aber pünktlich in Islamabad an und können live, wenn auch tausende Kilometer entfernt, am BTT teilnehmen. 

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In Islamabad treffen wir dann auch einen Arbeitskollegen von Andreas, der in Pakistan seine Familie besucht. Die langersehnten Ersatzteile erreichen uns endlich, worüber wir sehr dankbar sind. Bevor wir gemeinsam weiter nach Lahore zu seiner Schwester fahren, besuchen wir noch ein Schulprojekt der Kinderhilfe Afghanistan in Sargodha. Es handelt sich um die neue Kaifa-Schule, die uns stolz von der Leiterin präsentiert wird.

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Endlich können wir uns auch in der Presse und im Internet über die extremen Überschwemmungen in Pakistan, aber auch Indien und Nepal informieren. Der Monsun war in einigen Bergregionen in diesem Jahr wieder so heftig, dass es zu Überflutungen an den Südhängen des Himalaya und im Flachland kam. Fakt ist aber auch, dass die Menschen in den letzten Jahren Dörfer und Felder immer dichter an den Ufern der Flüsse angelegt haben. Außerdem wurden Flussläufe verengt und geändert. Der Mensch war an dieser Katastrophe wieder einmal nicht ganz unschuldig. Sicher wurde die Situation auf der indischen Seite noch dadurch verschärft, dass man an den verschiedenen Messstellen von den erhöhten Wasserpegeln nach tagelagen Dauerregen wusste, sich aber niemand in den indischen Behörden verantwortlich fühlte, dies weiter zu melden. Somit hat sich das vorhandene Zeitfenster von 24 Stunden für die Warnung der Bevölkerung in Kaschmir ohne nennenswerte Aktivitäten geschlossen.

Nach zwei Wochen verlassen wir das von uns wieder einmal als sehr angenehm und gastfreundlich empfundene Pakistan in Richtung Indien. An dem einzigen Grenzübergang für Ausländer bei Wagah findet jeden Abend vor Sonnenuntergang die spektakuläre „Border Closing“ Zeremonie zeitgleich und synchron auf der pakistanischen und indischen Seite statt. Bevor das eiserne Grenztor geschlossen und die pakistanische und die indische Flagge eingezogen werden, demonstrieren die Erzfeinde in dieser Zeremonie ihre Rivalität. Die Zuschauer können das Spektakel auf Tribünen hautnah miterleben. Soldaten in Ehrengardeuniform marschieren mit artistisch anmutendem Paradeschritt auf und ab, ballen die Fäuste und verziehen dabei keine Miene. Über Lautsprecher ertönen die Parolen: „Pakistan, Gott ist groß“, worauf die Gegenseite mit „Hindustan, Mutter Indien“ antwortet. In Anbetracht der permanent angespannten politischen Situation dieser beiden Länder ist das ein Spektakel der ganz besonderen Art.

Wir dürfen diese traditionsreiche Zeremonie als Ehrengäste des Grenzschutzkommandanten verfolgen, bis zum „Roten Teppich“ vorfahren und bekommen zur Erinnerung noch eine ziemlich große Skulptur geschenkt, die zum Glück von Andreas Kollegen nach Hause transportiert werden kann. Am nächsten Tag sorgt der Kommandant nach einem gemeinsamen Abschiedsfoto noch für eine „superschnelle“ Grenzabfertigung. Wir waren an diesem Tag übrigens das einzige Auto, das über die Grenze nach Indien gefahren ist.

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Wir waren wieder sehr gerne in Pakistan zu Gast und wünschen diesem Land eine friedliche Zukunft. Hoffnungsvoll stimmen uns hierbei die gerade begonnenen politischen Spitzengespräche mit Indien.

 

Weitere Informationen zum Karakorum Highway findet man auch in unseren Reiseberichten von 2006.